Das Implantat: Roman (German Edition)
und vergesst das Ganze?«
Ich werfe Lyle einen vorwurfsvollen Blick zu, knie mich neben den Stuhl des blonden Jungen und fange an, das Isolierband abzureißen.
»Also kommt, was ist los mit euch?«, fragt Lyle und breitet enttäuscht die Arme aus.
»Na ja«, quietscht der Kleinere. »Könntet ihr es so machen, dass …? Ich meine, es darf ja niemand wissen.«
»Wovon redest du? Spuck es aus, Junge«, fordert Lyle ihn auf.
Der Große platzt heraus: »Geht es auch ohne die Wartungsbuchse? An der Schläfe? Sonst kriegen’s unsere Eltern ja mit. Dann bekommen wir Ärger. Das versteht ihr doch, oder? Ich meine, wir wollen ja keine
Amps
werden.«
Plötzlich ist es, als hätte sich jemand bei einem hohen gesellschaftlichen Anlass einen schweren Benimmfehler geleistet. Hektisch zerre ich an dem Isolierband. Diese Jungs sind ziemlich unterbelichtet, und Lyle ist unberechenbar – das ist eine brandgefährliche Kombination.
Lyle lacht herb. »Amps, hm? Nein, das wollen wir natürlich nicht. Dass die heutige Jugend immer alles haben möchte, aber nichts dafür tun will. Unmöglich, nicht wahr, Doktor?«
»Wir wollen niemanden beleidigen, Sir«, sagt der Blonde.
»Tja, so geht das aber nun mal nicht, junger Freund«, meint Lyle. »Ohne Buchse kann das Implantat weder gewartet noch repariert werden. Dann müssten wir euch jedes Mal den Kopf aufschneiden, wenn ihr einen Wackelkontakt habt. Außerdem müsst ihr das Ding mit Biogel einschmieren. Sonst vernarbt euer Hirn innerlich, und alles geht kaputt. Aus die Maus.«
Jemand klopft so heftig an die dünne Tür, dass sämtliche Wände des modrigen Wohnwagens wackeln. Ich kann hören, wie das feuchte Holz splittert.
»Das muss die Schwester sein«, sagt Lyle.
Er tänzelt durch den Raum und reißt die Tür auf. Erst denke ich, es sei draußen plötzlich dunkel geworden. Schließlich erkenne ich, dass Brain mit seinem riesigen Körper in der Tür steht. Beide Jugendliche blinzeln ängstlich, während sie sich über die Ausmaße des enormen Menschen klarzuwerden versuchen, der da gerade zu Besuch kommt.
Der blonde Junge ist jetzt von seinen Fesseln befreit. Ich mache mit dem kleineren Jungen weiter. Durch das trübe Fenster sind neugierige Gesichter zu sehen.
Der Sperrholzboden knarrt bedenklich, als Brain in den Wohnwagen tritt. Der riesige Koloss gibt kein Wort von sich. Um mit dem Kopf nicht den Schimmel an der Decke zu berühren, beugt er sich etwas vor. Auf so engem Raum sind seine Atemgeräusche noch beeindruckender. Als sei man mit irgendeinem Urzeittier im selben Zimmer eingesperrt.
Der kleinere Junge beginnt, sich noch heftiger zu winden.
Lyle sieht mich an und schüttelt vorwurfsvoll den Kopf. »Willst wohl guter Cop, böser Cop spielen, hm?« Er hält drei Finger seiner rechten Hand in die Höhe und macht sich bereit, seinen Zenith zu aktivieren.
Drei.
Er lächelt mich an und senkt den ersten Finger auf den Daumen nieder. »Kannst du haben.«
Zwei.
»Nicht, Lyle«, sage ich. »Was soll das?«
Eins.
»Es tut uns leid«, stottert der jüngere Teenager und versucht verzweifelt, seine Hände zu befreien. »Es war seine Idee. Er hat mich dazu überredet, mitzukommen.«
Null.
Lyles Auge nehmen einen harten und gefühllosen Ausdruck an. Als hätte jemand die Kerze in einem Halloween-Kürbis ausgeblasen. Mit schlaffen Gesichtszügen spuckt er einen reißenden Strom von Worten hervor. »Habt ihr kleinen Normalos gedacht, ihr könntet einfach herkommen und bei uns mitmachen? Dass wir euch mit offenen Armen bei uns aufnehmen?«
Auf einmal ist Lyles Kopf nur wenige Zentimeter von dem des blonden Jungen entfernt. Ich habe ganz kurz geblinzelt, doch dieser winzige Moment hat Lyle offenbar genügt, um drei Schritte nach vorne zu machen. Wie von Sinnen zerre ich an dem Isolierband.
»Ihr
könnt
gar nicht zu uns gehören«, sagt Lyle. »Ihr habt nicht den Mumm dazu. Eure Herzen sind voller Angst. Ihr dämlichen Ärsche gehört hinter euren Zaun. Da könnt ihr mit eurem Scheinwerfer rumspielen, als wär’s euer Schwanz. Ist schon richtig von euch, Angst vorm Dunkeln zu haben. An eurer Stelle würde ich den Scheinwerfer immer schön anlassen. Weil dort draußen im Dunkeln etwas lauert. Etwas Gefährliches. Etwas nicht ganz Menschliches.«
Als Lyle lächelt, blitzen seine Eckzähne bedrohlich in seinem Mund auf. Wieder bemerke ich seinen stumpfen Blick. Er sieht aus, als würde er nur schauspielern oder der Szene unbeteiligt im Fernsehen zusehen.
Ich bin fertig.
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