Das Implantat: Roman (German Edition)
kreischt wie ein verängstigtes Tier. Lyle beugt sich zu ihm hinab und verpasst ihm eine Ohrfeige. Der Junge hört jedoch nicht auf zu schreien, also holt Lyle noch einmal aus.
Ich packe Lyles Arm und halte ihn zurück. Muss meine gesamte Kraft dazu aufwenden. »Brain«, sage ich und klammere beide Arme um Lyles Oberkörper, um ihn festzuhalten. »Nimm sie und bring sie zurück hinter den Zaun. Tu ihnen nicht weh.«
Brain erwidert nichts und sieht Lyle an. Ich bin kein General wie die anderen Zenith-Träger Stilman, Daley oder Valentine. Doch der Cowboy stiert nur leer vor sich hin, also gehorcht mir der große Mann. Er packt die Jungs am Kragen und zerrt sie nach draußen. Zwei schlotternde Gestalten in bunten T-Shirts.
Ich lasse Lyle los, der daraufhin zu Boden fällt. Er rutscht zur Wand hinüber und lehnt sich mit dem Rücken dagegen. Danach legt er einen seiner Arme um die angezogenen Knie und versucht mit gerunzelter Stirn, sich aus seinem tranceartigen Zustand zu lösen. Ein kurzes Beben geht durch Arme und Beine, er verzieht das Gesicht und schüttelt den Kopf. Mein Atem beruhigt sich allmählich. Mir ist wieder nach Kotzen zumute, aber ich will verdammt sein, wenn mir das vor Lyle noch mal passiert.
»Was zum Teufel sollte das?«, frage ich ihn.
Lyle wischt sich mit dem Ärmel übers Gesicht. Steht auf und sieht zum Fenster hinaus. Er grinst, und seine dunklen Haifischaugen funkeln lebhaft im Tageslicht.
»Wenn du uns irgendwie von Nutzen sein sollst, musstest du das sehen«, sagt er. »Du musstest sehen, wie sehr sie das wollen, was wir haben.«
The Arizona Republic
Tausende protestieren gegen Anti-Amp-Politik
PHOENIX – An diesem Donnerstag kam es zu einer Großkundgebung vor dem Parlamentsgebäude in Phoenix, an der zahlreiche Ärzte, Bürgerrechtler und Mitarbeiter der technischen Industrie teilnahmen. Ihrer Meinung nach gehen die Führer des Landes mit ihrer gegen die Träger von Hirnimplantaten gerichteten Politik zu weit und beeinträchtigen das Recht eines jeden US -Bürgers, frei über seinen Körper zu bestimmen.
Laut Bundespolizei waren vor dem Parlamentsgebäude in Arizonas Hauptstadt zeitweise mehr als 8000 Menschen versammelt, so viele wie seit Jahren nicht mehr. Einige hundert Anhänger des Pure Human Citizen’s Council fanden sich ebenfalls vor dem Gebäude ein, was trotz der räumlichen Trennung durch die Polizei zu heftigen Anfeindungen zwischen beiden Gruppen führte.
Geschützt durch strenge Sicherheitsmaßnahmen, hielt Jared Cohen, Vorsitzender der Free Body Liberty Group, eine mitreißende Ansprache. Begleitet vom Jubel des größten Teils der Anwesenden sagte er, dass Amerika auf einem »Fundament der Freiheit« gebaut sei und dass diese Grundlage die freie Wahl einschließe, »mit welchen technischen Hilfsmitteln man seinen Körper versieht«.
Senator Joseph Vaughn, Vorsitzender des Pure Human Citizen’s Council, warf der FBLG vor, ihrerseits zu weit zu gehen, und warnte, dass eine unkontrollierte Fortentwicklung der Implantationstechnologie die Gesellschaft in ihren Grundfesten erschüttern könne. »Diese Leute sind dabei, der Menschheit den Krieg zu erklären«, sagte er. »Und diesen Krieg müssen wir gewinnen – wenn nicht zu unserem eigenen Wohl, so doch zu dem unserer Kinder und Kindeskinder.«
13
Keine Grenzen
J im erhebt sich halb aus seinem quietschenden Liegesessel, dessen Armlehnen er mit seinen knochigen Ellbogen schon ganz blank gewetzt hat. Der Sessel hat etwas von einem räudigen, mit kahlen Stellen übersäten Hund, doch Jim sieht das vermutlich nicht einmal. Seine blauen Augen strahlen vor Begeisterung.
»Ich hab’s dir ja gesagt, Junge. Noch ist es nicht zu spät.«
Die Abendnachrichten bringen es gerade. Die Free Body Liberty Group protestiert vor dem Landtagsgebäude von Arizona. Hinter dem Nachrichtensprecher ist Justitia auf dem Dach des Gebäudes zu erkennen, die mit Waage und Schwert für Gerechtigkeit sorgt. Mit stolzen Mienen und lauten Stimmen bestehen die Demonstranten auf das Recht eines jeden amerikanischen Bürgers, mit seinem Körper anzustellen, was er verdammt noch mal will.
Vielleicht hatte Samantha doch unrecht.
Jim lächelt mich von der anderen Seite des Wohnzimmers fröhlich an. Dann wendet er seine volle Aufmerksamkeit wieder dem Fernseher zu. Von der Wand hinter ihm starrt der staubige Kopf eines Rehbocks auf uns herab. Das Haupt kämpferisch gesenkt und das Geweih in Stellung gebracht, scheint
Weitere Kostenlose Bücher