Das Implantat: Roman (German Edition)
danach, den Zenith einmal mehr zu aktivieren.
Drei, zwei, eins, null.
Level vier lässt die Welt hell und klar erscheinen wie an einem sonnigen Tag im Winter.
Zwei Männer kommen um die Ecke, die gerade noch über einen ihrer Witze lachen. Als sie mich sehen, bleiben sie stehen. Ich hebe die Hand und winke lässig dem finster dreinblickenden Typen mit dem Bart und dem Gewehr in der Hand zu. Seinen rechten Arm trägt er in einer Schlaufe – ein kleines Andenken an unsere letzte Begegnung.
Ja, Schlüsselbeine heilen langsam.
»Hallo, Billy«, begrüße ich ihn. »Lange nicht gesehen.«
Der Schuss reißt ein hässliches Loch in die Verkleidung des Wagens hinter mir, doch ich bin bereits in Bewegung. Mit gesenktem Kopf lasse ich den Zenith seine feinen Kontrollärmchen in meine Glieder strecken. Ich springe auf eine Veranda, bin im nächsten Moment schon darüber hinweg. Aufrecht und auf allen vieren, kletternd und hüpfend nehme ich Reißaus. Meine Umgebung gleitet mal blitzartig schnell, mal ganz langsam an mir vorbei, als würde sie von einem kaputten Projektor in die Welt geworfen.
Aus dem Wohnwagen, vor dem ich eben noch stand, dringen die Schreie einer Frau. Der Schuss ist also doch nicht ohne Wirkung geblieben. Hinter der dünnen Metallverkleidung und der schmalen Dämmung sind die Schrotkugeln wohl auf ein weiches Ziel getroffen.
Kehlige Rufe ertönen hinter mir und werden irgendwo vor mir mit weiterem Gejohle beantwortet. Schon bin ich auf Lucys Veranda und strecke die Hand nach der dünnen Tür aus.
Dann finde ich mich auf den Knien wieder.
Eine plötzliche Sonneneruption scheint vor meinen Augen aufzuschießen. Alles ist überbelichtet. Ich sehe Sterne, gleißend helle, tanzende Punkte. In der Ferne höre ich eine rumpelnde Explosion, die dunkel zwischen den Wohnwagen widerhallt.
Ich halte mir die Ohren zu und versuche blinzelnd, etwas zu erkennen. Zwei Wohnwagen weiter ist ein runder Propantank von der Größe einer Hundehütte explodiert. Blauviolette Flammen spuckend, rollt er immer noch über den Boden. Wie von einem Raketenschweif angetrieben, poltert er in wilden Purzelbäumen auf mich zu.
Ich stemme mich hoch und ergreife die Türklinke. Das Poltern kommt näher. Mit tauben Fingern versuche ich, die Klinke herunterzudrücken. Da scheint mit einem Mal ein sengend heißer Feuerball an meinem Rücken vorbeizuschießen, und ich stolpere mit letzter Kraft ins kühle Innere des Wohnwagens.
Bevor meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnen können, werde ich grob am Hemd gepackt und von dünnen weißen Armen zu Boden geworfen. Ich pralle von der Wand ab und lande auf dem Bauch. Sofort stemmt mir jemand das Knie in den Rücken. Wie ein Trommelwirbel prasseln Hiebe auf meine Schultern nieder. Ich versuche, mich zu befreien.
»Hör auf, rumzuzappeln«, sagt eine vertraute Stimme. »Dein Hemd hat Feuer gefangen, um Himmels willen. Ich will nur die Flammen löschen.«
Ich drehe mich auf den Rücken und sehe Lucys Gesicht vor mir. Ihre Augen sind rot. Sie hat vor kurzem geweint, doch jetzt weint sie nicht mehr. Im Moment sieht sie traurig, ängstlich und erleichtert aus. Eigentlich würde ich am liebsten sofort auf sie los, sie über das ausfragen, was Lyle gesagt hat. Gleichzeitig würde ich sie gerne in die Arme schließen und sie auf die Wangen küssen. Und mich wie ein Fötus zusammenrollen und um Jims Tod trauern.
Ich tue nichts von alledem.
»Wo ist Nick?«, frage ich.
Der Junge kriecht hinter dem Sofa hervor. Legt mir die Arme um den Nacken. Umarmt mich ungelenk. Als er sich wieder von mir löst, fasse ich ihn an den Schultern und mustere ihn. Er hat rußgeränderte Nasenlöcher und Schweiß auf der Stirn, aber ansonsten geht’s ihm gut. Über seiner Schläfe klebt ein Pflaster.
»Die Haie sind da«, erklärt er schlicht.
»Ich weiß, Nicky«, antworte ich. »Du hattest recht.«
»Wir wollten auf Jim warten«, meint Lucy. »Dann sind wir nicht mehr weggekommen.«
Ich gebe mir Mühe, eine neutrale Miene aufzusetzen. Durch den Zenith legt sich ein leichtes Flimmern über alles, was ich sehe.
Bumm. Ein Schuss reißt ein Loch in die Vordertür. Er hört sich an wie der platzende Reifen eines Zwölftonners. Die Patrone zischt an meinem Gesicht vorbei und durchschlägt die gegenüberliegende Wand. Helles Tageslicht scheint durch die Löcher herein, hinter denen rasch vorbeiziehender Rauch zu erkennen ist.
»Die Tür brennt«, höre ich gedämpft Billy draußen sagen. »Geht auf die
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