Das Implantat: Roman (German Edition)
an seinem Gürtel.
»Lass ihn uns einfach sicher abliefern, okay?«, meint der Große.
Der Kleine gibt ein hohes Kichern von sich. Er stößt mich mit der Spitze seines Schlagstocks nach vorne und hält ebenfalls einen gewissen Abstand.
Laut meiner inneren Uhr ist es ein Uhr siebzehn in der Nacht.
»Wohin bringen Sie mich?«, frage ich.
Als Antwort gibt mir der Kleine mit seinem Schlagstock einen Klaps aufs Ohr. Tut höllisch weh. Ich spüre, wie Blut an meinem Kiefer herabrinnt.
So viel dazu.
In dem langen, niedrigen Flur komme ich mir vor wie in einem U-Boot, das unerkannt durch nächtliche Tiefen gleitet. Rechts und links reihen sich maulwurfgraue Stahltüren aneinander, von denen teilweise bereits die Farbe abblättert. Jede hat einen Durchreichschlitz in Hüfthöhe sowie ein kleines Fenster aus Sicherheitsglas in Augenhöhe.
Am Ende des Korridors erreichen wir eine schwere Stahltür. Der Kleine zerrt so brutal an meinen Handschellen, dass meine Handgelenke schmerzhaft gegeneinanderschlagen. Ich bleibe gehorsam stehen, lasse mir ansonsten jedoch nichts anmerken.
Der Kleine scheint zu der Sorte Wärter zu gehören, die sich gerne provozieren lassen.
Der Große geht an mir vorbei, um die Tür zu öffnen. Mir fällt auf, dass er nasse Fußabdrücke auf dem Boden hinterlässt. Offenbar regnet es draußen. Im selben Moment hallt fernes Donnergrollen gedämpft durch den Gang. Muss ein ganz schön heftiger Sturm sein, wenn er bis hier zu hören ist.
Der elektrische Türöffner gibt einen hohen Summton von sich. Auch dieses Geräusch hallt durch den Gang – so als würde es nach einem Weg nach draußen suchen. Doch es gibt keinen.
Meine Aussichten werden immer schlechter. Ich habe kein Ass mehr im Ärmel. Der kleinere Wärter, der eine Waffe am Gürtel trägt, läuft mit selbstbewusstem Schritt vor mir her. Der größere bleibt weiterhin misstrauisch auf Abstand. Der Gang führt zu einer offen stehenden Tür, aus der grelles Licht dringt.
Ein Verhörraum.
Es ist so weit. Alle Entscheidungen und Möglichkeiten meines Lebens lösen sich in Wohlgefallen auf und verschwinden im Nichts. Ich sehe nur noch einen Weg vor mir. Und der führt nicht dorthin, wohin ich möchte.
Trotz allem blinkt da noch immer diese gottverdammte Frage in meinem Kopf. Fleht mich praktisch an, endlich ja zu sagen. Man glaubt es erst, wenn man es sieht. Aber ich möchte nicht sehen, was Lyle mir zeigen wollte. Wenn man voll drauf ist, begibt man sich voll und ganz in die Hände der Maschine.
Ein Lyle ist genug.
Der Verhörraum ist eng und viereckig. Die Luft steht, wirkt so dicht und schwer wie Wasser. In der Mitte des Raumes befindet sich ein gedrungener Stahltisch, der am gefliesten Boden festgeschraubt ist. Auf jeder Seite des Tischs steht ein ebenfalls am Boden befestigter Hocker.
Auf einem der Hocker sitzt die vertraute Gestalt eines hochgewachsenen Mannes mit grauen Schläfen, der mich träge zu sich winkt. Heute sieht er genauso aus wie sonst immer im Fernsehen.
»Setz dich, Owen«, fordert Senator Joseph Vaughn mich auf.
Der größere Wärter schubst mich in den Raum, und ich lande auf dem Hocker. Der kleinere Wärter holt eine lange Kette hervor, fädelt sie durch meine Handschellen und macht sie an einer dicken Stahlöse in der Mitte des Tisches fest.
»Rühr dich nicht von der Stelle«, sagt der kleinere Wärter kichernd.
Vaughn nickt, und die beiden Wärter verlassen den Raum. Mit hermetischem Zischen schließt sich die schwere Tür. Ich räuspere mich und merke, dass die schmutzigen Wände jedes Geräusch schlucken. Mir ist, als würde der ferne Donner das ganze Gebäude zum Beben bringen. Bis in den Boden und von dort in meine Fußsohlen scheint das tiefe Grollen zu dringen.
Vaughn hält den Kopf schief und sieht mich mit seinem kantigen Gesicht aufmerksam an. Er blinzelt nicht. Während er mich beobachtet, kann ich förmlich spüren, wie ich Informationen preisgebe: durch meine Körpersprache, meinen Gesichtsausdruck, meinen Atemrhythmus – alles wird von dem perfekt erscheinenden Ausnahmemenschen vor mir sorgfältig absorbiert, kategorisiert und verarbeitet.
Ich frage mich, ob Vaughn meine Angst bemerkt.
Ist sie meinem mühsam unter Kontrolle gehaltenen Körper anzusehen? Verrät sich das Chaos in meinem Kopf durch das unbewusste Zittern meiner Finger? Der Mann, der mir gegenübersitzt, ist für seine stundenlangen Nonstop-Reden bekannt, doch in diesem Moment ist er stumm wie ein Stein. Mit seinen grünen
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