Das Implantat: Roman (German Edition)
donnert.
»Aufwachen habe ich gesagt, Kumpel«, ruft auf der anderen Seite der Tür eine tiefe Stimme.
»Wie kann der Typ überhaupt schlafen?«, fragt eine hohe, näselnde Stimme.
Die grellen Deckenlichter der Zelle werden nie ausgeschaltet. Das macht es für die meisten Menschen vermutlich schwierig, einzuschlafen. Für mich nicht. Vorhin habe ich einfach meinen Zenith angeschaltet und mein Netzhautimplantat dazu gebracht, meinen visuellen Cortex zu deaktivieren. So dunkel ist es sonst höchstens in den Tiefen eines unterirdischen Höhlensystems.
Das Einzige, was mich nach dem Ausblenden sämtlicher visueller Wahrnehmungen noch beim Einschlafen störte, war die verdammte Frage, die in meinem Kopf blinkt:
Sind Sie einverstanden?
Hartnäckig. Regelmäßig wie mein Herzschlag. Darauf aus, mich auf den nächsten Level hinabzuführen.
Level fünf. Vollständige sensorische Vernetzung. Langfristige Einsatzplanung. Kommandieren und koordinieren. Verbesserte Mobilität und Überlebensfähigkeit. Sind Sie einverstanden? Sind Sie einverstanden?
Darauf aus, mich voll drauf zu bringen.
Die wahre Kraft liegt nicht in den Dingen selbst, sondern darin, wie sie miteinander verbunden sind, hat Lyle gesagt. Die einzelnen Teile sind alle vorhanden, und jetzt liegt es an mir, sie anzuschalten. Grünes Licht zu geben und sämtliche Implantate und neuronale Hilfen miteinander plaudern zu lassen. Eine ganz neue Welt eröffnet sich. Man glaubt es erst, wenn man es sieht, hat Lyle gesagt. Und dann ist der magere Cowboy in sein hyänenartiges Gelächter ausgebrochen. Hat den Kopf in den Nacken geworfen und losgewiehert, als hätte er gerade den besten Witz seines Lebens gemacht.
Man muss nur ja sagen. Doch ich weigere mich.
Bum, bum, bum, bum.
Die Schläge an der Tür reißen mich aus meiner Versunkenheit und versetzen mich in die Realität zurück.
Ich schalte meine Augen wieder an und sehe blinzelnd ins Licht.
»Los geht’s, Kumpel«, weist ein Wärter mich durch den Schlitz in der Zellentür an. »Steh auf, stell dich mit dem Rücken zur Tür und leg die Hände aneinander.«
Meine Knie sind so steif, dass mir das Aufstehen schwerfällt. Es ist bereits Wochen her, dass mir zwei schweigsame Beamte einen Sack über den Kopf gezogen haben und mich im Laderaum eines Transporters hierhergefahren haben. Ich weiß noch nicht einmal, wo dieses »Hier« ist. Seither stecke ich in dieser Zelle fest. Pisse in die Alu-Toilette. Esse, was man mir durch den Schlitz reicht. Bisher hat noch niemand mit mir geredet. Niemand hat auf meine Fragen reagiert. Ich bin hier vergessen worden.
Der Wärter hämmert noch lauter gegen die Zellentür.
»Na los, du Scheißer!«, schreit der andere Mann.
Einer der beiden greift durch den Schlitz und legt kaltes Stahl um meine Handgelenke. Ich stolpere nach vorne. Hinter mir schwingt lautlos die massive Stahltür auf. Ein Schwall frischer Luft trifft meinen Nacken, und ich ziehe instinktiv die Schultern ein.
»Umdrehen, Arschloch.«
Im Gang stehen ein großer und ein kleiner Wärter. Beide tragen schwarze Schutzwesten, Knieschützer und Helme. Nirgendwo ist eine Beschriftung oder ein Abzeichen zu erkennen. Der Große hält ein Polizeischild vor seine fassartige Brust.
Mein orangefarbener Häftlingsoverall hängt lose von meinem abgemagerten Körper herab. Während meiner Gefangenschaft habe ich kaum gegessen und auch nichts getan, um meinen Körper fit zu halten. Die blauen Flecken an meinem Körper haben sich nach und nach grün und dann gelb gefärbt. Sind geheilt.
Der kleinere Mann schiebt das Visier seines Helmes hoch, packt mich am Revers und zerrt mich auf den Gang hinaus. Gierig sauge ich die neuen Eindrücke in mich auf. Ich kann praktisch spüren, wie elektrische Impulse meine Nervenbahnen entlangschießen. Nach der langen Zeit der Entbehrung dürstet mein Hirn nach Daten.
Der Große legt eine seiner Pranken auf die Schulter des Kleinen. Hinter seinem Visier kann ich seine besorgt blickenden braunen Augen erkennen.
»Sei vorsichtig«, sagt er mit seiner tiefen Stimme. »Die haben uns sicher nicht umsonst vor dem Kerl gewarnt.«
»Guck dir seine Schläfe an«, sagt der Kleine. »Ist ’n ganz normaler Typ mit ’nem Autofokus. Ein beschissener Schlaumeier. Was soll er machen, mir mit seinem Hirn weh tun?«
Der Kleine grinst mich höhnisch an und schubst mich durch den Korridor. Der Große bleibt auf Abstand, versteckt sich praktisch hinter seinem Schild und behält die Finger auf dem Taser
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