Das Implantat: Roman (German Edition)
Augen mustert er mich so ruhig und eindringlich, dass ich mir nichts mehr wünsche, als dass er endlich mal blinzeln würde.
»Du«, sagt er.
Ich.
»Du hast uns ganz schön überrascht.«
Ich sage nichts, trotzdem antwortet Vaughn auf die Frage, die sich in meinem Kopf bildet:
Was haben Sie erwartet?
»Ich hatte erwartet, dass du gerissener vorgehen würdest. Lyle so offen vor den Kopf zu stoßen kann nicht leicht gewesen sein. Wahrscheinlich hatte ich gehofft, du wärst auf irgendeine Weise gefährlich. Aber das bist du offensichtlich nicht. Sieh dich an. Ein Schwächling.«
Er beugt sich vor, legt seine großen, manikürten Hände auf den Tisch und schaut mir in die Augen. Wolfsartig zieht er seine kirschroten Lippen über die geraden weißen Zähne zurück.
»Ein ängstlicher Schwächling.«
»Sagen Sie mir, wo ich bin«, verlange ich mit einer Stimme, die schon in meinem Kopf mickrig klingt, aber noch mickriger aus meinem Mund kommt.
Wenigstens blinzelt Vaughn endlich mal.
»Du bist in einem Bundesgefängnis in Pittsburgh. Ich möchte dir danken, dass du den weiten Weg hierher gemacht hast, damit wir uns unterhalten können. Vielleicht etwas bequemer für mich als für dich. Ich hätte dich ja bereits früher besucht, aber ich hatte alle Hände voll damit zu tun, mich um die Folgen von ein paar sehr unschönen extremistischen Anschlägen zu kümmern.«
Vaughn betrachtet mein Gesicht. »Deine Augen sind anders als die von Lyle. Klarer. Ehrlich, mir läuft es immer kalt den Rücken runter, wenn er seinen Amp benutzt.« Er lehnt sich wieder zurück und nimmt eine entspannte Haltung ein. »Lyle hat dich auf gefährliche Abwege geführt, Owen. Hat dich allein im Dunkeln sitzen lassen. Niemand weiß, wo du bist, niemand weiß auch nur, dass du verschwunden bist. Du gehörst ganz mir. Und alles, worum ich dich bitte, ist, dass du kooperierst.«
»Was wollen Sie?«
»Es geht nicht darum, was
ich
will. Es geht darum, was das Beste für dich und deine Nation ist. Für deine Mitmenschen.«
Das klingt nicht gut.
»Du wirst gestehen, dass du der Anführer von Astra bist. Dich dazu bekennen, dass du die zeitlich aufeinander abgestimmten Anschläge organisiert hast, durch die verschiedene Hochhäuser in Chicago, Houston und Detroit zerstört oder schwer beschädigt wurden. Zugeben, dass du die Amp-Einheiten ausgebildet hast, die nachts mit Hilfe besonders lichtempfindlicher Netzhautimplantate in die Hochhäuser eingedrungen sind. Du wirst die Verantwortung für den Tod von sechstausenddreihundertsiebenundvierzig amerikanischen Bürgern übernehmen.«
»Was? Das ist nicht wirklich passiert.«
Er wedelt mit seinen langen Fingern in der Luft herum, als wollte er die Bahn von Sternschnuppen nachzeichnen. »Ich habe seit Jahren davor gewarnt. Habe den Leuten gesagt, dass jemand wie du so etwas tun würde. Und jetzt wirst du dafür sorgen, dass ich der mächtigste Mann der USA werde.«
»Was zum Teufel haben Sie
getan?
Sie und Lyle haben sechstausend Menschen getötet?«, frage ich. Mir schießt so viel Adrenalin ins Blut, dass mir abwechselnd heiß und kalt wird.
»Ach, und du bist ein Engel oder wie?«, erwidert Vaughn.
Ich erinnere mich an Lyles kleinen Exkurs. Pflanzen, Tiere, Menschen, Engel, dann Gott.
»Nicht ganz«, sage ich.
Vaughn steht unvermittelt auf. »Du hast einem Mann das Gesicht mit einem Zementblock zertrümmert. Zufällig war er Teil meiner Außendienstorganisation und ein Freund von mir. Und er würde dich sehr gerne wiedersehen. Wenn du nicht kooperierst, wird er das auch.«
Armer Billy. Ernährt sich in irgendeinem Krankenhaus durch einen Strohhalm. Die Frage des Zeniths blinkt immer noch in einem Winkel meines Kopfes. Eine verschlossene Tür, hinter der etwas Dunkles lauert – gesichtslos, unbekannt, hungrig und bereit zum Sprung.
»Wieso hassen Sie uns so sehr?«
»Ich hasse euch nicht. Ich habe Mitleid mit euch. Ihr selbst merkt es nicht, aber ihr seid keine Menschen mehr. Weiß ein Wurm, dass er nur ein Wurm ist? Mir ist sogar klar, dass ihr nichts für das, was ihr seid, könnt. Davon darf ich aber nicht meine Entscheidungen beeinflussen lassen. Ich habe eine Verantwortung gegenüber den Kindern der Menschheit.«
»Sie haben Lyle bestochen, damit er Verbrechen begeht«, entgegne ich ruhig. »Mit getürkten Anschlägen Tausende von Menschen getötet. Werden Sie so Ihrer Verantwortung gerecht?«
»Ja, genau so. Dank unserer Opfer werden zukünftige Generationen ihre
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