Das Impressum
ihmAuskünfte abverlangte, die er nie hätte geben können, wäre er lediglich mit dem in zwei Ratzeburger Lehrjahren erworbenen Wissen ausgestattet und nicht zufällig ein Intimkenner der Militär- und Schießhistorie gewesen. Aber Treder schien es für selbstverständlich zu halten, daß sein neuer Lehrling zu sagen wußte, wann zylindro-ogivale Geschosse die schlichten Kugeln abgelöst hatten oder worin die Verdienste der Herren Büchsenmacher Werndl, Wänzl, Snider, Berdan, Arasaka und Vetterli zu sehen waren oder was es auf sich hatte mit Liderung, Aptierung, Mundring, Quadrantvisier und der Modifikation des Lebelgewehres im Jahre achtzehndreiundneunzig. Er führte David in seine Waffenkammer, eine Art privates Militärmuseum, und ließ ihn nach je einem kurzen Blick auf die unförmigen, aber wohlgepflegten Schießmaschinen an der Wand Schloßarten bestimmen und ihre Prinzipien erklären, Luntenschloß, Radschloß, Steinschloß, Perkussionsschloß, Mauserschloß, und er bestand auf exakten Angaben über Kaliber und Bohrungsarten und erkundigte sich nach dem Geschoßgewicht des japanischen Infanteriegewehrs von 1905, als handle es sich um die Uhrzeit. Und als David einmal mehr als fünf Sekunden benötigte, bis ihm die Anfangsgeschwindigkeit des Mannlicher-Stutzens einfiel, sagte Treder: »Womit haste denn in deinem Ratzekaff zu tun gehabt – etwa mit Nähmaschinen?« Natürlich hatte David weit mehr mit Nähmaschinen und gar mit Fahrradfreiläufen zu tun gehabt, und das ausgefallenste Schießeisen, das er in der kleinen Werkstatt in Händen gehalten hatte, war ein Carcano-Karabiner, Italien-Andenken eines Ratzeburger Hauptmanns, gewesen, aber sein erster Meister hatte ihm eingeschärft, vor Treder nur ja nichts von Singer-Nähmaschinen und Torpedo-Freiläufen verlauten zu lassen, sonst werde nichts aus dem Berliner Lehrjahr. So erklärte David denn mit sichtbarer Entrüstung, wer sich auf Nähmaschinen einlasse, der könne sich auch gleich auf Fahrradflicken verlegen.
»Das walte der Reichsmarschall!« sagte Treder, und es schien, als habe diese kleine und naheliegende Heuchelei seineskünftigen Lehrlings ihn mehr von dessen Eignung überzeugt als das Ergebnis der anspruchsvollen Prüfung.
Das Berliner Jahr entdeckte David die Welt.
Bis dahin war der Krieg nur ein schlingendes Untier gewesen; er hatte immer gefordert, bekommen und genommen; er hatte hinter jedem verweigerten Wunsch gestanden; er war die Erklärung gewesen, warum es dieses nicht mehr gab und jenes nicht sein durfte; er war der Grund von aller Not.
Beim Büchsenmachermeister Treder lernte David um. Not war ein Handelsfaktor, Mangel legte Schätze frei, und aus jähem Tod sprang manchmal jäher Reichtum.
Da kam die Witwe des Bierbrauers aus Weißensee in die Werkstatt und sagte: »Mein Mann ist gefallen.«
Da sagte der Meister Treder: »Herzliches Beileid – ja, wir zahlen alle unseren Zoll.«
Da sagte die Witwe: »Danke, da ist nun die Waffensammlung, was soll die jetzt?«
Da sagte der Meister Treder: »Schlimm, ich kann sie mir aber mal ansehen.«
Dann fuhr der Meister mit einem geliehenen Wehrmachtslaster nach Weißensee, und zu David sagte er: »Ich will da keinen gierigen Glanz in deinen Augen sehen und keine Jubelschreie hören – das sind alles völlig veraltete und leider total unbrauchbare Schießgewehre, das ist Schrott, verstanden, und eigentlich handeln wir nicht mit Schrott, aber man ist kein Unmensch. Du bist ein blöder Lehrling, ist das klar, du kennst dich mehr mit Nähmaschinen aus, und wehe, du guckst eine Lefaucheux-Doppelflinte nicht so blöde an, als wäre es eine alte Fahrradpumpe! Nachher in der Werkstatt kannste wieder aufwachen, aber jetzt weißte nischt und bist blöde, anders gnade dir Gott und die Deutsche Arbeitsfront!«
Wenn die Witwe nicht so sehr auf schnelles Geld versessen und vor den anreisenden Miterben in Zeitnot gewesen wäre, hätte Davids Gehabe sie stutzig machen müssen. Sie hätte bemerken können, daß etwas nicht stimmte, wenn der junge Mann, der zu geschickt und beiläufig mit kompliziertenSchlössern und Visieren umging, um noch ein grasgrüner Stift zu sein, und zu mühelos die waffentechnischen Angaben des Meisters auf einem Block notierte, um nicht sehr genau zu wissen, wovon jeweils die Rede war – sie hätte den Widerspruch erkennen müssen zwischen dieser aus Erfahrung gewonnenen Gewandtheit und der fast angestrengt schläfrig wirkenden Teilnahmslosigkeit in dem eigentlich
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