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Das Impressum

Das Impressum

Titel: Das Impressum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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von schwererem Tritt geblieben waren, von der Zeit, die auch ohne einen ausgekommen wäre, vom Gang der Geschichte, die auch einen anderen in dieses Haus hätte kommandieren können, und seine Fährte wäre keine andere gewesen. Oder doch? In diesem und jenem wohl doch, aber die Frage erledigte sich nicht mit diesem oder jenem; sie wollte wissen: Was hier an diesem Platz ist hier und nur so an seinem Platz, weil du da warst, du, David Groth? Nicht einfach: Du, Chefredakteur, du, Beauftragter, du, Vertreter, sondern äußerst persönlich du, du, David Groth.
    Sie war niederträchtig, weil sich niemals eine unumstößliche Antwort auf sie fand und weil sie den Bescheid enthielt: Die Jugend ist vorbei.
    Warum Niedertracht? Es war die Wahrheit, und die konnte bitter sein und zerschmetternd, aber etwas wie Vorsatz und Absicht war nicht ihr Teil, und es hatte keinen Sinn, mit den Vermittlern dieser Wahrheit umzugehen wie ein mongolischer Souverän mit den Überbringern schlimmer Post, und das müßte wohl ein wüstes Morden geben, wollte ein jeder, der erfuhr: Deine Jugend ist vorbei!, von Niedertracht schreien und zur Bluttat sich rüsten.
    Und ein jeder erfuhr es einmal, Kretins und extreme Leerköpfe vielleicht ausgenommen; die anderen erfuhren es, durch einen Schmerz, eine Rücksicht, eine Ehrung, durch Aufnahme in einen Kreis oder Auslassung aus einem Kreis, durch eine Anrede oder eine Ausrede, durch ein Versagen oder ein neuartiges Vermögen, durch einen Gang zum Schneider oder auf den Friedhof, durch den Wechsel von Bedürfnissen und Abneigungen, durch ein Geschenk oder durch einen Verlust:den Verlust einer Erinnerung, einer Fähigkeit oder eines Verlangens. Oder auch durch einen neuen Hang zur Erinnerung, durch eine endlich erlangte Fähigkeit oder durch ein aufkommendes Verlangen, das anders war als alle anderen zuvor.
    Das Verlangen etwa zu erfahren: Was bleibt von mir? Wo geht meine Spur? Wieviel Sterne habe ich geknüpft in die Schwalbenkette, die anfangs unendlich schien? Und wann war das: anfangs? Und immer wieder: Was habe ich angefangen, und was habe ich beendet?
    David Groth war vierzig Jahre alt, und das war noch kein Alter, in dem man sich in Lebensbilanzen verbiß, aber es war auch keines mehr, in dem man noch nicht an Abrechnung dachte. Es war dies das Alter, in dem es am sinnvollsten schien, Abrechnung zu machen, Prüfung, Überschlag, Summierung zu Neuem hin: Jenes war, dieses ist, das muß nun werden! Zeit war vergangen, und Zeit war noch gegeben.
    Noch – und dieses Noch sprach noch einmal: Die Jugend ist vorbei. Davids vierzigster Geburtstag lag einige Monate zurück, aber er erinnerte sich jenes Augenblicks, da ihm der Satz wie in Leuchtschrift durch den Kopf gelaufen war, der Satz, den er zunächst für eine Konzession an das Datum genommen hatte, eine konventionelle Koketterie eher als eine ernsthafte Erkenntnis, ein Satz aber, der sich nun wieder einstellte mit seiner niederträchtigen Behauptung: Von jetzt an geht es schnell!
    Schon wieder: Niedertracht! Aber auch hier war das kein passendes Wort, kein zutreffendes; es war einfach ein dummes Wort, es stimmte nicht. Denn schnell vergangen war die Zeit auch in anderen Zeiten – schon die erste Stunde dieses Arbeitstages hatte einen Beleg dafür geliefert.
    Wie lange, hatte Carola gesagt, wie lange war sie mit ihrem Kornverteiler verheiratet? Siebzehn Jahre? Das war immerhin eine Spanne, in der eines sich auswachsen konnte von den Windeln bis in den Maturatsrock, bis in ein Hochzeitskleid und bis in einen stählernen Helm. Und doch, erst einmal vergangen, war dies ein Fingerschnips von Vergangenheit. Wievielschneller sollte es denn nun noch gehen, und nur, weil man vierzig war?
    Das war eine eilige Fahrt gewesen, diese siebzehn Jahre vom Hochzeitstag der Packerin Carola Krell bis zu diesem Morgen der Kaderleiterin Carola Krell mit seiner neuartigen und gesellschaftlich bedingten Finsternis; sie war über die ganze hochgewölbte Länge eines Regenbogens gegangen, von Weltrand zu Weltrand, und doch war die Stunde, in der David Groth von der zweiten Stuhlreihe im Standesamt auf den Rücken der Braut gesehen hatte, diesen Rücken, der sich eher mit Pullovern vertrug als mit weißer Spitze, und gedacht hatte, nicht zum erstenmal und nicht zum letztenmal: Was für ein Kreuz für ein Weibsbild! – dennoch war diese Stunde ein Ebennoch. Und die Stunde, die weitere zwei Jahre zurücklag, die Stunde der ersten Begegnung mit Carola Krell, damals noch

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