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Das Impressum

Das Impressum

Titel: Das Impressum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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Künsten, derer die Wahrheit braucht, von der Entfernung zwischen Schwarz und Weiß; sie lernte zu beobachten und zu schweigen, zu übertreiben und zu vertuschen, und sie lernte, eine Arbeit zu tun und den Spaß daran zu behalten.
    Mit Kindern, den Hauptkunden ihres Vaters, hatte sie wenig im Sinn: Ganz klein waren sie noch ohne Tricks, und etwas größer dann, waren die Tricks nicht von ihnen; das Fotokleid hatte ihnen die Mutter angezogen, und die Fotohaltung hatten sie dem Vater abgeguckt.
    Klassenbilder waren schon etwas anderes; da gruppierten sich Charaktere; die Ordnung sprach von Rängen, und in die Kamera wurde je nach Lage der Schuldinge gesehen – nicht bei der mit viel Brimborium angekündigten Hauptaufnahme, da starrte alles auf den einen Punkt und begriff sich als Mitte des Bildes, aber bei den anderen, den verstohlenen, gestohlenen sogar, denn das, was sich da dann später auf den Filmen fand, hätten seine Besitzer wissentlich kaum hergegeben: den Neid auf den Pullover der Banknachbarin, die Gier nach dem Schinkenbrot zwei Reihen weiter, das Liebeszeichen zwischen Dieter und Marita, beide zwölf, den Hagenblick auf einen Lehrerrücken.
    Franziskas Vater murrte über das vergeudete Negativ, aber er ließ es dann sogar hingehen, daß sein Lehrling die besten Stücke der Beute vergrößert abzog, und er lachte mit ihr und schüttelte den Kopf mit ihr und half ihr, die Teile zu einem Panorama zusammenzufügen, dem sie, als sie siebzehn war, den Namen gab: »Wie die Menschen in Weißleben ihr Menschenleben leben.«
    Es war dies eine erfrischende Sammlung, in manchem aber auch eine erschreckende, und man tat gut daran, die Seitenansichten vom Feuerwehrball erst nach denen von Weißlebens einzigem tödlichem Autounfall zu betrachten, denn Franziska hatte nicht die beiden Toten auf der Straße fotografiert, sondern die Gesichter der Leute, die die Szene säumten, und amschlimmsten war es, daß man alle diese Gesichter ganz anders kannte: Moment, Fräulein Grewe, Ihr Kuchen ist fertig, den haben Sie aber wieder wunderbar angerührt! – Guten Tag, Fräulein Grewe, wenn Sie am Sonntag manchmal zur Taufe rüberkommen möchten, die Oma in Braunschweig hätte gern ein Bild! – Ach, Fräulein Grewe, ich hätte hier was zum Entwickeln, es ist aber mehr intim, aus dem Urlaub, Sie verstehn vielleicht! – Oh, Fräulein Grewe, nun sehn Sie doch bloß, wie der Junge wieder dasitzt, eben das Hemd gebügelt, und was mach ich bloß mit seinen Haaren?
    So grauenhaft die Leute auf die Straßentoten gestarrt hatten, so komisch waren sie wieder bei Beerdigungen und dem, was denen folgte. Sie standen um frischgesetzte Grabsteine wie um einen Fußballpokal. Sie bissen in den Leichenschmaus mit der ungehemmten Freude derer, die noch lebten. Sie wußten, wie affig ihnen der geborgte Zylinder zu Gesicht stand, und würden einen Muskelkater bekommen von den zwei Stunden kommandierter Würde. Sie waren glänzend vertreten durch jenen älteren Mann, den Franziska einmal aufgenommen hatte, als er die Rechnung der Bestatterin prüfte, dann, als er geschlagen und weinend zum Friedhof schritt, und schließlich, als er in der Hocke neben dem Sargdeckel saß und prüfend an das Holz pochte: Tatsächlich Eiche! – Die Totenfrau hatte ihn nicht beschissen!
    Man wurde älter, als man war, in diesem Beruf, jedenfalls dann, wenn man ihn so nahm, wie Franziska es tat. Man konnte nicht hundert Posten Schwäche buchen, ohne einmal eine Summe zu ziehen, und man kam da auf etwas von Grundgewicht, etwas, das Widerspruch hieß, Widerspruch zwischen Schein und Sein, zwischen Anspruch und Erfüllung, zwischen Abbild und Wesen, zwischen Absicht und Ergebnis, man kam hinter die Allgegenwart dieser ineinander verspannten Gegensätze und war deshalb ständig bereit, hinter dem eben Erfahrenen weitere Erfahrung zu erwarten.
    Franziska war bereit, aber dennoch hätte sie ein Ereignis beinahe aus allem Glauben geschleudert, und ihren Vater hates wohl umgebracht. Er hatte ihr den Auftrag auf einen Zettel geschrieben, und sie war auf ihr Fahrrad gestiegen, etwas belustigt und etwas neugierig, aber beides nicht sonderlich. Haustrauung auf dem Lande, das kam immer mal vor. Eine gewisse Genantheit der Beteiligten war da meistens im Spiel, eine alberne Verlegenheit, die alberne Erklärungen produzierte: Die Braut war immer wieder krank geworden, wenn es ans Heiraten gehen sollte; der Bräutigam hatte ständig auf Montage gemußt; die Mutter hatte nun einmal einen

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