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versehen?«
»Ich wüßte nicht, wo ich hingekommen wäre ohne alle Ihre Warnungen. Ich höre also.«
»Also hören Sie: Wenn dieses langstielige Unikum umfällt, kann sein Entwerfer nicht nur den Stecken nehmen, sondern sich auch beim Regreß weißbluten, sofern man sich hierorts gehabter Exempel erinnert.«
»Ich ahne, Sie haben das Exempel zur Hand, und krumm und schief, wie es auch immer und wie stets sein möge, ich sehe seiner Mitteilung entgegen.«
»Entgegensehen mögen Sie seiner Mitteilung noch ironisch, aber danach werde ich Sie erschrocken sehen; versuchen wir es, indem ich aus dem Bericht Nr. 1 des Hermann Ortgies, eines früheren Kollegen von Ihnen und mir, an den Fürsten Georg Albrecht von Ostfriesland zitiere: ›Da unter Ihro Königl. Majestät Abwesenheit ein sehr pompeuses Thrauer-Portal vor hiesiger Dohm-Kirche fast vollkommen aufgeführet war, hat solches, weil es der Ober-Bau-Director Herr von Eosander ohne speciale Königl. Ordre entrepeniret, wieder abgebrochen werden, und er selbstens loco poenae die darauf gewanten Kosten tragen müssen.‹«
»Ja«, sagte David, mehr nicht, denn hinter Gabelbachs Exempeln aus der Zeitungsgeschichte dehnte sich ein Sumpf, und wer sich auf jene Diskussion einließ, versank in diesem; das hatte David früh erfahren.
»Ja«, sagte auch Gabelbach und erhob sich.
»Moment«, sagte David, »da wäre noch Ihr Vorschlag!«
»Richtig, deshalb kam ich ja«, sprach Fedor Gabelbach und ließ hier endlich von seiner Gepflogenheit, die Satzausgänge des anderen zu eigenem Satzbeginn zu verwenden, und ließ auch von allen Schnörkeln des Gedankens und des Ausdrucks und ließ auch vom Widerwillen gegen den Fernsehturm, dennsein Vorschlag ging so: »Wir sollten folgendes machen, von heute an bis zur äußerlichen Vollendung des Bauwerks: Kamera an einen bestimmten, stets einzuhaltenden Punkt innerhalb der Stadt, Blick auf ein markantes Vergleichsgebäude, Rotes Rathaus vielleicht oder Marienkirche oder beide, und dann jede Woche ein Bild im Blatt, an einer bestimmten, stets einzuhaltenden Stelle, vom Fundament bis zur Antennenspitze, und am Ende vielleicht eine Doppelseite mit sämtlichen Aufnahmen in der Reihe, Titel: Der Riese im Zeitraffer. Fertig.«
»Das klingt pfiffig«, sagte David, »bringen Sie das mit ins Kollegium, und vielleicht besprechen Sie mit dem Stadtbauamt, wo Sie den Fotografen postieren, sonst bauen die uns womöglich inzwischen die Perspektive zu. Vielen Dank!«
»Bitte«, sagte Gabelbach, »wo es um ein wenig Ordnung im Tun dieses Hauses geht, immer zu Diensten. Auf Wiedersehen, Herr Kollege.«
»Auf Wiedersehen, Kollege Gabelbach«, sagte David und fühlte sich erschöpft und auch frisch und fühlte sich gesund und munter trotz des leichten Schwindels, in den ihn Gabelbachs Besuche stets versetzten, und trotz des leisen Brennens rechts unterhalb der Rippen, das neueren Datums war, und fühlte sich mittendrin, nicht am Anfang und nicht am Ende, fühlte erfahrene Zeit hinter sich und Zeit für Erfahrungen vor sich, fühlte sich wenige Schwalbenketten jung und hundert Turmbauten alt, fühlte sich gut für ein Papiersternchen hier und da und fühlte sich geeignet für seinen Posten und für keinen anderen sonst.
6
Was wird man, wenn der Großvater Fotograf war, der Vater Fotograf ist und man selber auch etwas Anständiges und Solides werden soll? Was wird man, wenn man drei Geschwister hat, von denen dreie Fotografen sind? Was wird man, wenn man in Weißleben wohnt und einen alle die Tochter vom Fotografen nennen?
Dann wird man Fotografin. Dann ist man es schon, bevor man es geworden ist.
Macht das Spaß? Es ist immer ein Spiel gewesen und hat also Spaß gemacht. Hört der auf, wenn man muß, was man durfte?
Franziska sagt nein. Seit dem ersten Lehrtag war sie nicht mehr nur mit, sondern dabei. Das machte den ganzen Unterschied, aber es gab einen neuen Spaß: Du hilfst wohl dem Vater? – Ich bin sein Lehrling!
Wen und was fotografiert man in Weißleben in der Börde? Der Ort hat um neunzehnhundertfünfzig an die fünftausend Einwohner, von denen etwa dreitausendzweihundert bereits einen Personalausweis besitzen, also nur noch selten ein Paßbild benötigen. Ungefähr ein Drittel von ihnen steht im Rentenalter; da braucht man keinen Betriebsausweis und tritt auch kaum noch einer Organisation bei, die ihre Mitglieder mit Dokumenten versieht. Die arbeitsfähige Bevölkerung – Hausfrauen, die auch ohne Ausweisschwenken an den Abwasch
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