Das Impressum
Bördenjungfer, nee, Kindchen!
Also dann das Magazin für junge Menschen! Der Freund vom Kreissekretär hieß Helmut, und er kam auch tatsächlich auf einen Sprung ins Haus, als Franziska dort auf ihn wartete.
»Der hat Nerven«, sagte er, als er den Brief gelesen hatte, »hier trifft sich die Hälfte der jungen Generation, und davon wieder die Hälfte muß ich interviewen, und der schreibt, ich soll mich mal mit dir unterhalten. Alle Male, die ich hab in diesen Tagen, sind besetzt. Wenn du willst, lauf neben mir her; kannst gleich ’n paar Bilder dabei machen; Proben brauchten wir sowieso von dir. – Was hast du denn mit deinem Blauhemd gemacht?«
»Wieso?«
»Das sitzt so flott; man sieht richtig, daß du ein Mädchen bist.«
Innerhalb von drei Tagen kam er immer mehr darauf, daß sie ein Mädchen war, und er ließ es sie merken, daß er ein Mann war, ein junger, tatendurstiger, tüchtiger, lustiger, gewitzter und ziemlich rücksichtsloser Mann. Er bekam die Interviews, die er wollte, und sie holte er nebenbei gründlich aus; am Ende kannte er ihre Schulzeugnisse und ihren Brustumfang und alle ihre Tanten, und er wußte auch, daß sie bis jetzt noch nichts Schärferes, wie er das nannte, mit einem Mann gehabt hatte.
»Mußt du ändern«, sagte er, »schade, ich komme jetzt bei dem Gehetze nicht dazu, sonst würde ich mal ’n bißchen Hand anlegen.«
Der läßt das wie einen Gefallen für mich klingen, dachte sie, aber wie ich gehört hab, soll das auch für einen Mann ganz nett sein. Sie merkte, daß sie sich langsam in ihn verschoß;es war ihr ein wenig unheimlich, aber nicht zu sehr. Sie machte ihre Bilder und unterdrückte die Neigung, ihn allzuoft mit auf die Fotos zu bringen; ein paar hatte sie schon von ihm, und die würde sie bewahren als die Bilder von einem, mit dem es beinahe dahin gekommen wäre. Aber es kam dahin, und kurz nachdem sie die Aufnahmen entwickelt hatte, war es schon wieder vorbei.
Sie waren beide abgehetzt und froh, als die wilden Pfingsttage mit der Abschlußkundgebung zu Ende gegangen waren. Sie waren heiser vom hundertfachen Sang des Liedes »Blaue Fahnen nach Berlin«, und am Eingang zum Wedding, kurz hinterm neuen Walter-Ulbricht-Stadion und schon im französischen Sektor von Berlin, waren sie auf heftige Abneigung gegen Lied und blaue Fahnen gestoßen, waren zurückgeknüppelt worden über die Grenze, dorthin zurück, wo Fahnen und Lieder zu Hause waren, und Franziska war es, auch dank der Schläge am Wedding, leicht geworden, einzustimmen in die Lieder und Schwüre, die zum Abschied noch einmal von Jugend und Frieden sprachen. Sie tranken im überfüllten Berolinakeller am Alex einen schlimmen Wein und bummelten Richtung Friedrichstraße durch die Nacht, die immer noch nicht ruhig war. Auf dem Marx-Engels-Platz tanzten noch ein paar hundert Verrückte Laurenzia unter dem riesigen Stalinbild, das an einem Fesselballon im Himmel hing. Vier Scheinwerfer beleuchteten von den beiden Spreearmen her den lächelnden Generalissimus.
Franziska und dieser Helmut sahen lachend den Tänzern zu, da schrie einer der Laurenzia-Turner: »Hallo, Jugendfreundin, liebste Fotografin, mach ein Bild von uns; mir hier beim völkerverbindenden Danze, das gibt eine Freude in Schmilka!«
»Geht leider nicht«, sagte Franziska, »mir sind die Blitzer ausgegangen, und das Licht reicht nicht.«
Aber auch den anderen Tänzern schien es nun äußerst dringlich, daß ein Foto von ihren Kniebeugen angefertigt werde, und sie bejubelten den Vorschlag ihres Wortführers: »Mir fragen die Freunde, ob sie manchmal einen Strahl vomteuren Genossen Josef Wissarionowitsch abzweichen möchten, da möcht’s doch reichen mit ’m Lichte!«
»Das geht doch nicht«, sagte Franziska, aber Helmut legte den Arm um sie und sagte: »Warte hier; ich versuche es.«
Wenn er das schafft, dachte sie und ärgerte sich zugleich über so etwas Kindisches, dann schafft er alles, und von mir aus darf er es auch. Sie machte ihre Kamera fertig und hoffte und wußte dabei nicht, was sie sich erhoffte. Da könnte ich doch gleich Blütenblätter zupfen: Es geschieht, es geschieht nicht, es geschieht, was will ich denn überhaupt, will ich es, will ich es nicht, Väterchen, laß ein bißchen ab von deinem Licht, nein, behalt’s doch besser, oder nicht, ich weiß schon nicht!
Dann erhob sich ein mächtiges Geschrei, rhythmisches Klatschen schlug bis an die ferne Marstallmauer, ein langes Ooh tönte über den Platz, und der Gesang
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