Das Impressum
»Laurenzia, liebe Laurenzia mein« stieg in den Himmel, an dem sich das große Abbild mählich verdunkelte und endlich verschwand, denn alle vier Scheinwerferstrahlen senkten sich herab, und auf der gepflasterten Erde wurde Tag.
Nun ist es entschieden, dachte Franziska, alle vier gleich, dagegen komme ich nicht an, nun ist es entschieden!
Helmut hielt ihr die Jugendfreunde vom Hals, die ihr ihre diversen Adressen in Schmilka und Schkölen und Schlatkow und Geld für Abzüge und fürs Porto dazu aufnötigen wollten; er sagte: »Schreibt ans Magazin für junge Menschen, schreibt: Betrifft nächtliche Laurenzia, dann weiß ich schon. Und wer bei der Gelegenheit abonniert, kriegt die Bilder gratis. Freundschaft!«
Und zu Franziska sagte er: »Immer praktisch denken; wenn du praktisch denkst und nett bist, kriegst du fast alles, und was du nicht kriegst, schimpft doch nicht hinter dir her, wegen der Nettigkeit.«
»Wie hast du das mit den Scheinwerfern gemacht?«
»Praktisch und nett. Ich hab dem Kompanieführer ein Pioniertuch umgebunden, etliche Male Drushba gerufen,und der Rest ging mit Händen und Füßen. Ich hoffe, er kriegt keinen Ärger wegen der Finsternis. – Nun los, nun suchen wir uns ein Stückchen Finsternis, ich möchte nett mit dir sein.«
Das war nicht ganz einfach. Wo immer sie die Linden hinunter bis zum Brandenburger Tor einen dunklen Winkel fanden, erwies sich der als schon besetzt, und Helmut zeigte sich ein weiteres Mal von seiner praktischen und von seiner freundlichen Seite, als er das Lied von Sonne, Mond und Sternen anstimmte, um die zärtlich gelaunten Jugendfreunde und Jugendfreundinnen zu warnen, die bis dahin in einigen Fällen erbarmenswert hastig auseinandergesprungen waren.
Franziska ging mit wie im Schwindel, oder sie versuchte sich doch einzureden, sie ginge ein wenig wie im Schwindel mit. Ich bin etwas von Sinnen, sagte sie zu sich, ich war noch nie in soviel Fröhlichkeit, ich glaube, ich weiß nun, was Freiheit ist, nie hatte ich solche Kraft, ich bin von Sinnen in dieser Nettigkeit, hier ist etwas zu Ende gegangen, hier hat etwas angefangen, ich bin zu Hause hier, wir sind zu Hause hier, jetzt weiß ich, was Jugend ist, und ich bin etwas von Sinnen vor Liebe wohl und auch etwas angesteckt von all der Liebelei hier herum, das liegt einfach in der Luft heute, und es ist nichts dabei. Aber es war doch etwas dabei, es war so nicht ganz geheuer, und dieser Helmut war ihr ein Quentchen zu praktisch, und sie hatte es sich auch etwas anders vorgestellt, sie wußte zwar nicht, wie anders, aber in einem nächtlichen Torbogen hatte es sicher nicht anfangen sollen, und daß es dann zwischen dem Holz auf einem Bauplatz nahe dem Reichstag anfing, war fast schon zuviel.
Doch nur fast, denn Helmut war praktisch und freundlich und machte sie vergessen, wo sie war, nicht gleich, aber dann doch; er war zärtlich und ohne Hast, er baute zuerst ein Versteck und sprach sinnlosen Schnickschnack, er hielt sie ruhig, als wolle er sie beschützen, und sie nahm diesen Schutz, brauchte ihn, brauchte den verrückten Augenblick dieserNacht gegen die verkehrte Welt der letzten Tage, wußte nun alles und wußte nichts mehr, wußte nicht, ist Glück Vergessen oder ist Begreifen Glück, gewahrte die Versuchung, sich herausfallen zu lassen aus der Welt, und wehrte sich, indem sie Bilder der Welt aufrief, den Pastor, den Bräutigam, das Scheunendach, das Labor, die Untersuchungsorgane, den Vater, den Bruder, die Redaktionen, den Tänzer aus Schmilka, den Platz in der Nacht und das Bild im Himmel, und wußte von dem steinernen Schatten in ihrem rechten Augenwinkel, daß es der Reichstag war, und wollte nicht wissen, daß sie sich die Schulter an einem Zimmermannsbalken zerrieb, und verteilte Verantwortung für den Wahnsinn hier an Lichtkanoniere und Scheinwerferkommandeure und rief wütend: »Drushba!«
»Spinnst du?« sagte dieser Helmut, und sie sagte: »Natürlich spinne ich, was dachtest du? Ich heiße Laurenzia und bin aus Schmilka. Ich habe eben einen Pastor fotografiert, der hat mit einem Scheinwerfer einen Fesselballon abgeschossen, an dem hing ein Illustriertenbild von einem Untersuchungsorgan. Ich bin die Jugendfreundin Johanna und frage dich nunmehr, bist du gewillt, den Reichstag zu abonnieren, so sage denn laut und vernehmlich: Hinlegen!, so singe denn praktisch und freundlich: Franziska, liebe Franziska mein, wann werden wir wieder gefangen sein? Ich heiße Maria und bin jetzt aus Heu und aus
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