Das Impressum
ein Gedicht von Werfel und eines von Becher und als besonderer künstlerischer Leckerbissen ein Bericht aus dem Theater am Schiffbauerdamm: Rudolf Platte in ›Bezauberndes Fräulein‹, da fehlt nichts, Damen, Herren, das ist schon Überfülle.«
»Überfülle ist ein Schönwort für knäueliges Kuddelmuddel«, sagte Fedor Gabelbach, »und wenn ich einmal eine kleine Vorhersage wagen darf, kündige ich Ihnen folgende Leserbriefe an: ›Wo gibt’s denn die grünen Tomaten? … bitte ich Sie, mir mitzuteilen, wie ich in Besitz eines Nagels gelange, damit ich Ihre Flaschenkappe an Ihren Holzstiel kriege, vom Fische ganz zu schweigen! … Kochtopp gut,wat is mit Fleisch? … Sie haben Sorgen! Was machen wir aus Vaters Uniform? Haha!!! Die wird Vater wohl tragen müssen, wenn er nicht nackt rumlaufen will! Aber erst, werter Herr Redakteur, beantworten Sie mir mal was anderes: Wo ist Vater?‹«
Doch Klotz winkte das beiseite; Leserbriefe waren nicht sein Schalter, die gehörten zu Lilo, und Lilo würde sich schon zu helfen wissen. Sie war unschuldig und furchtlos, und ihre Überzeugung war eine Variante des Glaubens an den Horror vacui: So wie die Natur keinen leeren Raum dulde, so dulde sie auch keine Frage, auf die eine Antwort nicht zu finden wäre, freilich müsse man suchen. Die Leserbriefe waren ihr Kummer und ihr Glück, denn sie merkte schon, daß nicht jede Erkundigung ein Ausdruck reiner Wißbegierde war, aber auch Glück war ihr Teil in der Abteilung Lesermeinung. Denn um die rechte Antwort geben zu können, war sie immerfort unterwegs zu Fachleuten, die waren ja so prägend. Und Lilo war so prägbar, daß man von ihrem Gesicht, ihrer Sprechweise und ihrer Körperhaltung auf ihren jeweiligen Umgang schließen konnte. War sie mit einer Leserfrage zum Verbleib der Palucca-Schule befaßt, durfte man sicher sein, sie lief, als habe sie eine Haselnuß im Hintern, und ihre Augen waren zwei Tropfen Schwanensee, und um auf einen fast läppischen Lesereinwurf in Sachen Gerhart Hauptmann treffend antworten zu können, trieb sie so heftigen geistigen Verkehr mit mehreren Germanisten, daß sie für Tage Goethen schrecklich ähnlich sah.
Johanna Müntzer hielt große Stücke auf Lilo und deren Amt, weil sie in Lilos fast süchtiger Lernbegier eine wesentliche Voraussetzung des neuen Menschenbildes erkannte und weil Leserbriefe einer gelegentlichen Äußerung Lenins zufolge günstigste Gelegenheit zur Erforschung von Volkesmeinung boten.
Deshalb trat Johanna der Unke Gabelbach sofort entgegen und sprach: »Wer sich vor den Fragen des Volkes fürchtet, muß vor den Fragen Gottes zittern!«
Sie liebte es, Gabelbach aus dieser Ecke zu kommen, aber der ließ sich selbst von ihr nicht in eine Religionsdebatte locken.
»Zittern«, sagte er, »sollten wir lediglich vor jenem Moment, da auch unsere Leser bemerken, was wir bereits ahnen: daß noch etwas fehlt. Wir könnten uns zwar behelfen wie jener Korrespondent Franz Hermann Ortgies, der seinem friesischen Publikum am siebzehnten siebten siebzehnhundertsiebzehn – das Datum ist nicht erfunden – aus Berlin mitteilte, es habe die ›Sterilität der Nouvellen verursacht, daß bey voriger Ordinairen nichts berichten können‹, aber nun weiß ich weder, ob das unserem heutigen Publikum genügen wird, noch, ob es sich mit unserer politischen Verantwortung verträgt. Da diese aber, wenn ich die im allgemeinen undurchdringlichen Verhältnisse in unserem Hause wenigstens da annähernd durchschaue, vornehmlich Sache von Herrn Meyer ist, sollte der sich wohl dazu äußern.«
Das war ein wenig viel verlangt, und Fedor Gabelbach wußte das auch, aber der Aufgabenbereich von Heinrich Meyer, Kutschen-Meyer genannt, war in der Tat so ungenau umrissen, daß Kutschen-Meyer geradezu ein Abonnement auf Gabelbachs Sticheleien hatte.
Kutschen-Meyer stand im Impressum der Neuen Berliner Rundschau, und zwar stand da: »Heinrich Meyer, verantwortl. Redakteur«. Außer seinem Platz im Impressum und dem am Redaktionstisch hatte Meyer keinen in der Rundschau. Meyer war eine Art historischen Irrtums. Er war der Sitzredakteur, der Strohredakteur des Blattes, der Mann mit dem griffbereiten Bündel, den man in vergangenen Zeiten ins Gefängnis delegierte, wenn die Justiz nach Sühne eines Preßvergehens schrie. Aber weniger solcher Sorge wegen hatte man Kutschen-Meyer jetzt in der Rundschau installiert als vielmehr aus dem Bedenken, die Leser könnten ein Blatt nicht ernst nehmen, dem Johanna
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