Das Inferno
tränenfeuchte Kissen. Dann schaltete sie das Licht aus und versank wieder in einen unruhigen, von Albträumen heimgesuchten Schlaf.
Als sie zum fünften Mal wach wurde, war es draußen bereits hell. Lisa schaute auf die Uhr, sah, dass es sieben war, und beschloss aufzustehen.
Obwohl sie sich nach einer Dusche sehnte, entschied sie sich dagegen. Wenn wirklich jemand über die Feuerleiter einsteigen sollte, könnte ihr das winzige Badezimmer zur Todesfalle werden. Sie wusch sich also nur kurz am Waschbecken, bürstete sich den roten Haarschopf und legte etwas Make-up auf. Danach fühlte sie sich ein wenig besser. Gerade als sie sich wieder angezogen hatte und überlegte, was sie als Nächstes tun sollte, klingelte das Telefon.
Obwohl Lisa einen fürchterlichen Schreck bekam, hob sie ab und sagte mit leiser Stimme: »Ja?« Es war die alte Frau vom Empfang, die ihr in der Nacht das Zimmer gegeben hatte.
»Wollte Sie bloß vorwarnen«, sagte sie. »Da sind ein paar Männer auf dem Weg hinauf zu Ihrem Zimmer. Behaupten, dass sie von der Polizei sind, aber mir kamen die eher wie Raufbolde vor…«
»Vielen Dank.«
Lisa war klar, dass die Frau sie nur deshalb gewarnt hatte, weil ihr die Männer verdächtig vorgekommen waren. Wenn sie daran zweifelte, dass sie von der Polizei waren, konnten sie auch nicht in Uniform gewesen sein. Vorsichtshalber hatte Lisa außer ihrem Kulturbeutel nichts aus ihrem Koffer genommen, sodass sie ihn jetzt nur zuklappen musste.
Dann brachte sie ihn zum Fenster, stellte ihn draußen auf den Absatz der Feuerleiter und wollte gerade selbst hinaussteigen, als sie hörte, wie jemand gegen die verriegelte Zimmertür klopfte.
»Aufmachen, Polizei! Wir wissen, dass Sie da drin sind.
Öffnen Sie sofort die Tür…«
Die Stimme klang hart und fordernd. Lisa schwang sich hinaus auf die Feuerleiter und begann sie hinabzusteigen. Aus dem Zimmer hörte sie das Splittern von Holz. Offenbar wurde die Tür aufgebrochen.
Sekunden später stürmten zwei Männer in dunklen Geschäftsanzügen in das Zimmer. Der eine war dick und von mittlerer Größe, und seine dunklen, buschigen Augenbrauen waren über der Boxernase fast zusammengewachsen, der andere war kleiner und schlanker und hatte ein grausam wirkendes, schmales Gesicht mit hohen slawisch wirkenden Wangenknochen. Sein fettiges Haar, das ebenso dunkel war wie die langen Koteletten, hatte er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. In der rechten Hand hielt er ein großes Messer, weil man ihm gesagt hatte, dass er seine Arbeit unter allen Umständen
leise
verrichten solle.
»Im Bad ist sie nicht«, sagte der kleine Mann.
»Schau aus dem Fenster, Panko!«, bellte der Dicke.
Der kleine Mann beugte sich aus dem Fenster und blickte nach unten. Lisa, die inzwischen am unteren Ende der Leiter angekommen war und bereits zu ihrem Auto lief, konnte ihn deutlich sehen. Panko fluchte leise vor sich hin.
»Sie hat einen Wagen!«, rief er nach hinten ins Zimmer hinein.
»Worauf wartest du dann?«, zischte der andere Mann.
»Klettere die Feuerleiter hinunter, und sieh zu, dass du sie aufhalten kannst. Ich hole inzwischen unser Auto und lasse dich dann unten in der Gasse einsteigen.«
Lisa sah durch die Windschutzscheibe ihres Wagens, wie der kleine Mann, so schnell er konnte, die Feuerleiter hinunterkletterte, aber sie behielt die Nerven. Ohne zu zittern, steckte sie mit ruhiger Hand den Zündschlüssel ins Schloss und ließ den Motor an. Der kleine Mann war inzwischen unten angelangt und baute sich mit gezücktem Messer mitten in der Gasse auf. Ohne zu zögern, gab Lisa Gas und raste direkt auf ihn zu, sodass er sich nur noch mit einem beherzten Satz zur Seite retten konnte.
Auf dem schlüpfrigen Kopfsteinpflaster der Gasse konnte Lisa nicht so schnell fahren, wie sie wollte. Im Rückspiegel sah sie, wie ein großer, blauer Ford bei der Feuerleiter anhielt. Der kleine Mann stieg ein, und der Ford nahm wieder Fahrt auf.
»Das sind keine Polizisten«, sagte Lisa zu sich selbst.
»Polizisten fuchteln nicht mit dem Messer herum. Jetzt bist du echt in Schwierigkeiten, Mädchen…«
Sie beschloss, in Richtung Waterloo Station zu fahren, geriet aber bald in dichten Berufsverkehr. Richtig gefährlich wurde es aber erst, als kurz vor der Themsebrücke eine Ampel auf Gelb schaltete und der Wagen vor ihr stehen blieb.
»Wenigstens sind um mich herum Autos mit lauter Leuten«, versuchte sie sich zu beruhigen, aber als sie wieder in den Rückspiegel blickte, sah
Weitere Kostenlose Bücher