Das Inferno
vollständig in eine kalte, mörderische Wut verwandelt. Als der Mann mit den Schlägen aufhörte, öffnete sie langsam die Augen und schaute ihren Peiniger an. Es war Delgado.
Lisa verspürte ein übermächtiges Verlangen, den Dreckskerl zu töten, und wusste, dass das keine vorübergehende Emotion war. Bei der nächsten Gelegenheit, die sich ihr bot, würde sie ihn umbringen, ganz gleich auf welche Weise. Im Augenblick aber konnte sie nichts anderes tun, als sich in ihrem Gefängnis umzusehen. Es war ein altertümlicher Raum mit hölzernen Wänden, an deren einer sie zwei seltsam aussehende, große Türen sah. Durch die Ritzen zwischen ihnen und dem Türstock drang helles Tageslicht herein. Was war das nur für ein merkwürdiger Ort? Und wieso führten Türen im ersten oder zweiten Stock ins Freie? Schließlich hatte sie Delgado doch eine Treppe hinaufgetragen.
Lisa ließ ihre Blicke weiter durch den Raum wandern, dessen einziges Möbelstück ein großer alter Holztisch war, vor dem auch Delgado stand. In einer Ecke sah sie ein paar verrostete Ketten, die so aussahen, als ob sie seit Jahrzehnten dort gelegen hätten, in einer anderen einen Haufen Leinensäcke. Vor einem, der umgefallen war, lagen ein paar Holzkeile.
Lisa erinnerte sich, dass sie solche Keile schon einmal in einem Seefahrtsmuseum gesehen hatte. Früher hatte man sie verwendet, um mit Pech getränktes Werg in die Ritzen zwischen den Schiffsplanken zu stopfen und damit den Rumpf abzudichten. Die Tür, durch die Delgado sie hereingetragen hatte, war jetzt mit einem dicken hölzernen Riegel gegen Eindringlinge von draußen abgesichert. Der Raum roch muffig, und Lisa fühlte sich richtig eingesperrt.
Vorsichtig bewegte sie die Zehen in ihren Schuhen, um die Durchblutung ihrer Beine möglichst aufrechtzuerhalten. Dann warf sie Delgado einen verächtlichen Blick zu, der ihm signalisieren sollte, für was für eine widerwärtige Kreatur sie ihn hielt. Er hatte fettiges Haar und einen ungepflegten Bart.
Sein angeschmutztes, ehemals weißes Hemd stand an der Brust offen und gab den Blick auf eine affenartig behaarte Brust frei, während seine Jeans voller Bier- und Soßenflecken war.
»Na, können Sie jetzt sprechen, Gnädigste?«, sagte Delgado süffisant.
»Was haben Sie gesagt? Ich habe Sie nicht verstanden«, log Lisa. Wenn sie ihn töten wollte, musste sie Zeit gewinnen.
Er trat auf sie zu und schlug sie abermals von beiden Seiten ins Gesicht. Lisa warf den Kopf herum, um den Aufprall der Schläge so gut wie möglich zu neutralisieren, trotzdem tat ihr das ganze Gesicht weh. Erst jetzt dachte sie an Tweed und die anderen, die sie hier wohl niemals finden würden. Sie verspürte das dringende Bedürfnis, sich zu schnäuzen. Genau das hatte sie ja gerade tun wollen, als sie in den Hausgang gezerrt worden war. Sie hatte das Taschentuch schon in der Hand gehabt. Jetzt schniefte sie, was Delgado dahingehend interpretierte, dass sie Angst hatte. Er grinste sie an und entblößte dabei zwei Reihen bräunlicher Zähne.
»Ich kann ganz schön brutal werden, Gnädigste.«
Lisa, die sein dreckiges Grinsen anwiderte, sah, wie er sich bückte, ein Messer aus der Tasche nahm und damit das Seil durchschnitt, mit dem er ihr die Füße gefesselt hatte. Dann schaute er ihr wieder ins Gesicht.
»Wie dumm vo n mir, dir die Füße zusammenzubinden. Da kann ich ja nachher gar keinen Spaß mit dir haben. Aber das kommt später. Erst wirst du mir alles verraten.«
Am liebsten hätte Lisa ihm in sein ekelhaftes Gesicht gespuckt, was sie aber nicht tat, um ihn nicht unnötig zu reizen.
Delgado trat ein paar Schritte zurück in Richtung Tisch, und Lisa achtete darauf, ihre befreiten Füße nicht allzu sehr zu bewegen. Sie wollte ihn in dem Glauben lassen, dass sie starr vor Schreck war und sich von ihrer Narkose noch nicht vollständig erholt hatte. Die Kette zwischen den Handschellen war lang genug, dass sie die Hände auf die Knie legen und sie fest zusammendrücken konnte. Auf diese Weise konnte sie überprüfen, ob sie schon wieder Kraft in den Fingern hatte.
»Wie viele Leute hat Tweed?«, fragte Delgado.
»Nicht mehr viele. Die meisten haben Ihre Männer erschossen.«
»Gut«, sagte Delgado, aber dann leuchteten seine gelblichen Augen misstrauisch auf. Er trat auf Lisa zu und hob seine behaarte Hand, als wollte er sie wieder schlagen. »Du lügst.«
»Warum sollte ich? Jetzt, wo Sie mich in Ihrer Gewalt haben, wäre das doch vollkommen sinnlos.«
Delgado
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