Das Inferno
geschossen. Seit Paulas Zwischenfrage kamen ihre Antworten sowieso sehr viel schneller als am Anfang des Gesprächs. Nun sah sie auf ihre mit Diamanten besetzte Armbanduhr. »Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, Mr. Tweed, aber sind Sie mit Ihren Fragen bald fertig? Ich habe noch eine wichtige Verabredung und werde gleich von einem Wagen abgeholt.«
Tweed erhob sich, und Paula und Newman taten es ihm gleich. Während ihre Gastgeberin nach einem Zobelmantel griff, der über einem der Sessel hing, sah Paula sich noch einmal im Zimmer um. Tweed dankte Mrs. Mordaunt für ihre Geduld und folgte ihr zur Wohnungstür, wo sie aus ihrer Handtasche einen Schlüsselbund kramte. Sie musste drei Schlüssel durchprobieren, bis sie den richtigen fand.
»Ich habe mir nie merken können, welcher Schlüssel der richtige ist«, entschuldigte sie sich. »Und jetzt, mit all der Aufregung…« Sie öffnete die Tür und hielt sie ihren Gästen auf.
»Seien Sie mir nicht böse, aber ich muss jetzt wirklich gehen.«
Auf der Straße vor dem Haus stand eine dunkle Limousine, vor der ein uniformierter Chauffeur auf und ab ging. »Joseph ist schon ganz ungeduldig«, sagte Mrs. Mordaunt. »Er weiß, dass ich schon jetzt zu spät zu meiner Verabredung kommen werde…«
Die Absätze ihrer Stöckelschuhe klapperten die Treppe hinunter, während der Chauffeur den Wagenschlag aufriss, um sie einsteigen zu lassen. Dann eilte er nach vorn ans Steuer, startete den Motor und fuhr los. Kurz bevor die schwere Limousine um die nächste Ecke verschwand, prägte sich Paula noch die Nummer ein.
Tweed stand immer noch mit der offenen Haustür in der Hand da. Eine große, etwa siebzigjährige Frau im Pelzmantel stieg gerade die Stufen herauf.
»Vielen Dank, junger Mann«, sagte sie, als Tweed ihr die Tür aufhielt. »Suchen Sie etwas?«
»Nein, wir sind gerade am Gehen«, erklärte er. »Wir waren bei Mrs. Mordaunt, aber die ist soeben in die Limousine gestiegen.«
»Das war nicht Mrs. Mordaunt, junger Mann«, herrschte die alte Dame ihn von oben herab an. »Ich habe diese Person noch nie gesehen.«
»Entschuldigen Sie bitte, aber irren Sie sich auch nicht?«
»Wieso sollte ich mich irren?«, gab die Dame indigniert zurück. »Schließlich wohne ich seit zehn Jahren in diesem Haus und dürfte inzwischen ja wohl wissen, wie meine Nachbarn aussehen, meinen Sie nicht auch?«
Mit diesen Worten ließ sie Tweed stehen und segelte wie eine Fregatte, die gerade eine vernichtende Breitseite auf ein feindliches Schiff abgefeuert hatte, in das Gebäude hinein.
3
»Tweed ist tot.«
Der Mann, der einigen speziellen Ermittlern von Scotland Yard unter dem Namen Mr. Blue bekannt war, saß in einer Bar im Londoner Stadtteil Maifair und sprach über sein Handy, obwohl das durch ein Schild an der Wand ausdrücklich verboten war. Aber er hätte ohnehin niemand stören können, weil er der einzige Gast in der Bar war.
Kurz nach dem Betreten des exklusiven Lokals hatte er beim Barkeeper einen teuren Brandy bestellt und ihm ein großzügiges Trinkgeld gegeben. Auf diese Weise hatte er sichergestellt, dass er hier tun konnte, was er wollte.
Bevor er zum Handy gegriffen hatte, war er noch zu einer Tür gegangen, auf der in großen Lettern NOTAUSGANG stand.
Dort hatte er den stählernen Riegel zurückgeschoben, die Tür geöffnet und hinausgeschaut. Der Notausgang führte in einen schmalen Durchgang, der nach ein paar Metern in eine belebte Straße mündete.
Zufrieden darüber, dass er einen Fluchtweg hatte – so etwas brauchte er immer –, war der Mann an seinen Platz zurückgekehrt, hatte einen Schluck von seinem Brandy getrunken und dann mit leiser Stimme den Anruf getätigt. Die Stimme seines Gesprächspartners klang hart und aggressiv.
»Wie wollen Sie sich sicher sein, dass er tot ist?«
Mr. Blue ließ sich mit seiner Antwort Zeit und zündete sich erst einmal eine Mentholzigarette an. Schon vor langer Zeit war er zu der Erkenntnis gelangt, dass einem die Leute so gut wie alles glaubten, wenn man sich nur die Informationen Stück für Stück aus der Nase ziehen ließ.
»Man hat mir gesagt, dass zwei Kugeln ihr Ziel getroffen haben. Tweed ist zusammengesackt, und der Wagen ist in eine Hauswand gerast. Niemand ist ausgestiegen, jedenfalls nicht, solange meine Gewährsleute noch am Tatort waren. Wenn Ihnen das nicht genügt, dann ist das Ihr Problem.«
Mr. Blue legte auf, bevor der Mann am anderen Ende der Leitung ihm in seiner aufbrausenden Art
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