Das Inferno
ihm hinüber.
»Ich kann mir nur nicht vorstellen, was an solchen Telefonaten so interessant sein soll«, sagte sie.
»Ach so, das können Sie nicht? Sie haben wohl noch nicht viel erlebt, Paula. Die Telefonate meines Vaters sind
geheim.
Ah, da kommt ja unser Fisch!«
Der Kellner servierte die Seezunge, und Paula begann sofort zu essen. Aubrey starrte auf seinen Teller und machte keine Anstalten, nach seinem Besteck zu greifen. Stattdessen trank er aus seinem Glas und grinste Paula verschwörerisch an.
»Mein alter Herr ist gar nicht… im Ruhestand«, flüsterte er.
»Wie schön für ihn.«
»In Wirklichkeit matrikuliert er die Leute.«
»Wie bitte? Tut mir Leid, aber das verstehe ich nicht.«
»Manipuliert wollte ich sagen. Er manipuliert die Leute.«
Aubrey grinste sie abermals an. »Mein Gott, sind Sie schön, Paula.«
Während er das sagte, griff er unter dem Tisch nach Paulas Knie. Paula ließ ihr Besteck fallen, packte seine Hand und entfernte sie.
»Wenn Sie mich noch einmal anrühren, verlasse ich auf der Stelle das Lokal«, sagte sie mit ruhiger, aber eiskalter Stimme.
»Ich dachte, Sie wären der nettere der beiden Brüder, aber da habe ich mich wohl getäuscht. Und jetzt benehmen Sie sich gefälligst. Essen Sie etwas, und lassen Sie die Flasche stehen.«
»Ich bitte tausendmal um Entschuldigung. Ich weiß gar nicht, was in mich gefahren ist. Ich mag Sie wirklich, Paula.«
»Ihr Essen wird kalt.«
»Sie glauben wohl, dass ich betrunken bin.«
»Reden wir nicht darüber.«
»Paula, womit habe ich Sie so verärgert?«
»Lassen Sie mich in Ruhe«, sagte Paula kühl. »Und wissen Sie was? Dieses Essen mit Ihnen finde ich höchst unerfreulich.
Sie haben mir gründlich den Appetit verdorben. Ich glaube, ich werde jetzt lieber wieder gehen.«
»Das können Sie mir nicht antun«, sagte Aubrey und verzog das Gesicht. »Mich hat noch niemand sitzen gelassen. Und schon gar nicht in einem Lokal, wo das ganze Personal mich kennt.«
»Das ist Ihr Problem. Benehmen Sie sich besser, dann passiert so was nicht. Und jetzt adieu, Mr. Barford.«
Paula stand auf und verließ eilig den Tisch. Nachdem sie sich ihren Mantel hatte geben lassen, ging sie hinaus, um sich ein Taxi zu rufen. Was sie getan hatte, war vielleicht nicht die feine englische Art gewesen, aber immerhin hatte sie auf diese Weise aus Aubrey wertvolle Informationen herausgeholt, die sie sonst nie bekommen hätte.
6
Oskar Vernon schlenderte die St. James’s Street entlang und hatte dabei seinen Spazierstock unter den Arm geklemmt wie ein Stabsfeldwebel, der gerade eine Parade abnahm.
Passantinnen, die ihn wegen seiner seltsamen Kleidung verstohlen beäugten, schenkte er ein strahlendes Lächeln und eine kleine Verbeugung. Ihm wäre nie in den Sinn gekommen, dass sie ihn für eine bizarre Erscheinung hielten. Auf dem Weg zum Piccadilly Circus blickte er auf die Uhr und schlug eine schnellere Gangart an. Er musste sich beeilen.
Für den Anruf, den er jetzt zu tätigen hatte, brauchte er eine Telefonzelle, aber auf der Straße war weit und breit keine zu sehen. Erst unten in der U-Bahn fand Oskar Vernon eine leere Zelle und wählte dort die Nummer, die er sich auf einem Zettel aufgeschrieben hatte.
Am anderen Ende der Leitung, in einer anderen Telefonzelle in der Nähe von Reefers Wharf, wurde sofort abgehoben.
»Wer ist dran?«, verlangte Vernon zu wissen.
»Delgado. Machen Sie schnell, vor der Zelle stehen die Leute schon Schlange.«
»Das ist mir doch egal. Hören Sie mir gut zu. Heute Nacht um zehn Uhr steigt die Generalprobe. Wir haben das Okay von ganz oben.«
»Dann sage ich meinen Leuten, sie sollen langsam in Stellung gehen.«
»Und jetzt passen Sie auf. Ihre Leute werden sich alles ansehen, aber keine Gewalt ausüben, außer es ist nötig, um sich zurückziehen zu können. Haben Sie mich verstanden?«
»Ja. Ich werde es weitergeben…«
Delgado ließ den Hörer fallen, stieß einen üblen Fluch aus und schob die vor der Telefonzelle wartenden Leute rüde beiseite. Wieder einmal hatte Oskar Vernon ein Gespräch einfach dadurch beendet, dass er aufgelegt hatte. Dieser verdammte Bastard!
Nachdem Paula in ihr Taxi gestiegen war, ging Tweed den ganzen Weg von der Pall Mall zur Park Crescent zu Fuß. Die Sonne schien angenehm warm, und außerdem konnte er beim Gehen am besten nachdenken.
Als Tweed sein Büro betrat, saßen dort Newman, der eine Zeitung las, und Harry Butler, der sich ein Tuch auf den Schoß gelegt hatte
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