Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Insekt

Das Insekt

Titel: Das Insekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Masterton
Vom Netzwerk:
ein metallicgrüner Coupe de Ville, aus dem ein kleiner Mann mit rotbraunen Haaren stieg. Er schlüpfte in ein beiges Sportsakko und winkte Bonnie freundlich zu.
    »Der Anwalt?«, fragte Kyle Lennox.
    »Nehme ich an«, sagte Bonnie und stieg aus.
    »Dann verzieh ich mich lieber. Es war wirklich hochinteressant, Sie kennen zu lernen, Bonnie. Noch mal nichts für ungut für das Missverständnis. Ich hoffe, Sie können mir noch mal verzeihen.«
    »Nein wirklich. Vergessen Sie’s einfach.« Bonnie lächelte ihn an. Erst als sie neben ihm stand, wurde ihr bewusst, wie groß er war. Und dass er nach Jugend und Kraft und Sonne und Hugo roch. Ihm verzeihen? Sie hätte ihm sogar verziehen, wenn er sie öffentlich der Unzucht mit dem Satan persönlich geziehen hätte.
    Er lief zurück über die Straße, und sie sah ihm nach. Seinen federnden Gang schrieb sie großer Fitness und teuren Tennisschuhen zu. Der Anwalt der Hinterbliebenen stand plötzlich neben ihr. »Ist das nicht…«
    »Ja. Er ist es. Und er hat mir gerade ein Autogramm gegeben.«
    »Meine Frau dreht durch, wenn ich ihr das erzähle. Ich bin übrigens Dudley Freeberg von Freeberg, Treagus und Wolp.«
    »Freut mich, Mr Freeberg.«
    »Ganz meinerseits«, sagte Freeberg und grinste sie selig an.
     

 
    Asche zu Asche
     
     
    Wie in allen Häusern, in denen Menschen eines gewaltsamen Todes gestorben waren, herrschte auch bei den Marrins eine fast unnatürliche Stille. Es war, als hielten die Wände im Angesicht des Grauens, dessen Zeuge sie wurden, den Atem an.
    Noch mehr als die Stille fiel Bonnie allerdings der Gestank nach verbranntem Teppich auf. Kaum hatten sie und Dudley Freeberg das Haus betreten, rochen sie diese Mischung aus Benzin und verkokelter Wolle. Und noch ein Geruch lag in der Luft. Er erinnerte an alte, verkohlte Fleischreste, die an einem Grill klebten.
    Beim Eintreten hatte Dudley Freeberg erst vorsichtig hinter die Tür gespäht, war dann zögerlich eingetreten und hatte sie wieder sorgfältig geschlossen. Die ehemals weiß gestrichenen Wände waren geschwärzt und warfen Blasen. Schwarz-bräunliche Schlieren wanden sich bis zur Decke. Am Türrahmen hingen Fetzen irgendeines Stoffes. Die Innenseite der Tür wies lange, tiefe, gleichmäßige Riefen auf, als habe jemand versucht, mit bloßen Händen die Farbe abzukratzen.
    Bonnie zeigte auf die Fetzen. »Haut«, sagte sie.
    Dudley Freeberg nahm seine Brille ab und starrte darauf.
    »Haut?«, fragte er. Sein Adamsapfel tanzte auf und ab.
    »Genau. Und diese Kratzer hier sind entstanden, als die Feuerwehr seine Überreste von der Tür entfernt hat. Um die organischen Überreste und die Brandspuren kümmere ich mich, aber für solche Schäden wie hier an der Tür müssen Sie einen Maler kommen lassen.«
    »Einen Maler«, sagte Dudley Freeberg mit ausdrucksloser Stimme. »Verstehe.«
    Sie sahen sich schweigend in der Diele um. In dem hohen, großen Raum dominierten die Farben Gold und Flieder. Tote Gladiolen standen in einer hohen Vase auf einem nachgemachten Rokokotischchen. Ein goldgerahmter Druck zeigte zwei schlafende Mexikaner bei der Siesta mit großen Sombreros auf dem Kopf. Durch einen Türspalt erkannte Bonnie eine großzügige, in Eichenholz gehaltene Küche. Das Haus würde ihr auch gefallen, dachte Bonnie. Ein bisschen schäbig vielleicht, aber geschmackvoll und gemütlich eingerichtet und mit einer schönen geschwungenen Treppe.
    Diese Treppe gab einen lebhaften Eindruck der letzten Momente im Leben des fünfzehnjährigen Liebhabers von Mrs Marrin: Er hatte schon lichterloh gebrannt, als er die Treppe heruntergerannt war und die verschmorten Spuren seiner Füße führten über den lila Teppich vom ersten Stock bis zur Tür. Mit seinem brennenden Händen musste er sich am hölzernen Treppengeländer festgehalten haben, denn auch hier hatte die Farbe Blasen geworfen und sich bräunlich verfärbt.
    »Mein Gott«, sagte Dudley Freeberg. »Er muss wirklich durch die Hölle gegangen sein.«
    »Wir gehen mal nach oben«, sagte Bonnie. Sie hatte keine Lust über die Hölle – ob auf Erden oder sonst wo – nachzudenken. Nicht an diesem Tag.
    Sie gingen nach oben, fanden das Schlafzimmer und blieben stehen vor dem geschwärzten großen Bett, auf dem noch eine verkohlte Samtdecke lag. Am Kopfende des Bettes hing ein gerahmter verrußter Spiegel, durch den sich diagonal ein Riss zog. Bonnie sah sich neben Dudley Freeberg stehen. Sie sahen aus wie Figuren auf einer alten

Weitere Kostenlose Bücher