Das Insekt
aussehen ließ.
»Itzpapalotl war die Herrin der Hexen und sie wachte über die schrecklichen Menschenopfer. Im aztekischen Kalender gab es dreizehn Unglückstage, die ihr zugeschrieben wurden. Sie war die Anführerin einer riesigen Schmetterlingsarmee, allesamt aus dem Totenreich auferstandene Hexen, die sie im Flug über Wälder und Städte führte.«
»Und was… was hat sie getan?«
»Sie trieb die Menschen in den Wahnsinn, sodass sie ihre Liebsten töteten.«
Bonnie starrte in ihre Teetasse, als wüsste sie nicht, was sie in den Händen hielt.
»Vielleicht einen Keks?«, fragte Howard. »Ich hab da eine hervorragende Sorte mit Pekannüssen…«
Die Wilden und die Widerspenstigen
Um elf Uhr dreißig hatte Bonnie eine Verabredung am Lincoln Boulevard in Santa Monica. Hier war der Schauplatz eines gemeinschaftlichen Selbstmords, und Bonnie sollte nach Besichtigung einen Kostenvoranschlag machen. Eigentlich hätte sie den Anwalt der Hinterbliebenen vor dem Haus treffen sollen, aber gerade als sie vorfuhr, rief der Anwalt an, um zu sagen, dass er sich verspäten würde. Seine Stimme klang, als würde er sich die Nase zuhalten.
»Verspäten? Wie lange brauchen Sie noch?«, fragte Bonnie.
»Sagen wir zwanzig Minuten.«
»Okay. Aber in einundzwanzig Minuten bin ich weg. In zwanzig Minuten und dreißig Sekunden bin ich auch weg.«
Sie saß in ihrem Wagen, hörte Radio und tippte im Rhythmus der Countrymusik auf ihr Lenkrad. Vielleicht sollte sie wieder einmal ihre Mutter besuchen, dachte sie. Sie hatte ein schlechtes Gewissen. Wegen ihrer Mutter hatte sie eigentlich immer ein schlechtes Gewissen, selbst wenn sie sie zweimal in der Woche besuchte. Es war, als läge eine ewig unausgesprochene Frage zwischen Mutter und Tochter. Eine Frage, die nie beantwortet werden würde. Eine Frage, die Bonnie nicht einmal kannte. Die Beziehung zu ihrer Mutter war wie eines dieser kryptischen Kreuzworträtsel, die nicht den kleinsten Hinweis auf die Lösung gaben.
Sie tippte die Nummer ihrer Mutter in ihr Mobiltelefon und legte sofort wieder auf, kaum dass ihre Mutter sich mit einem »Hallo« gemeldet hatte. Vielleicht wäre es besser, sie zu überraschen. Vielleicht wäre es besser, sie überhaupt nicht zu besuchen. Nein, wäre es nicht, dachte sie. Sie musste.
Der gemeinschaftliche Selbstmord hatte in einem weiß gestrichenen Eckhaus stattgefunden. Die Farbe blätterte schon ab, der Rasen war ungepflegt, die Vorhänge waren verschlissen, ein umgekippter Einkaufswagen lag im Vorgarten. Die Kiefer im Garten warf einen dunklen Schatten auf das Haus und verstärkte das unheimliche Gefühl, dass an diesem Ort eine Tragödie stattgefunden haben musste.
Zwei Fenster im ersten Stock waren mit Spanplatten vernagelt, der obere Rand des linken Fensters war stark verrußt. Die schwarze Spur sah aus wie ein wehender Schal. Bonnie wusste über den Fall nur, was Lieutenant Munoz ihr am Telefon erzählt hatte: Eine siebenundvierzigjährige Witwe hatte offenbar eine Affäre mit ihrem fünfzehnjährigen Neffen begonnen. Der Bruder der Witwe fand es heraus und drohte damit, die Polizei zu rufen und sie wegen Kindesmissbrauchs anzuzeigen. Noch in derselben Nacht legten sich die Witwe und ihr Neffe zusammen auf ein großes Bett im ersten Stock, Übergossen sich mit zwanzig Litern Premium-Plus-Benzin, und zündeten sich eng umschlungen an.
Bei lebendigem Leibe zu verbrennen ist nicht romantisch. Der Junge war vom Bett aufgesprungen und wahnsinnig vor Angst und Schmerz im Zimmer herumgerannt. Dabei hatte er die Vorhänge in Brand gesetzt. Dann war er immer noch brennend die Treppe heruntergestürmt und hatte versucht, aus dem Haus zu kommen. Zu diesem Zeitpunkt müssen seine Finger aber schon so verkohlt gewesen sein, dass er nicht mehr in der Lage war, den Riegel zurückzuschieben und den Türgriff zu drehen. Die Feuerwehr fand ihn gegen die Tür gelehnt. Sein Leichnam klebte an der geschmolzenen Türfarbe wie ein verschrumpelter, grinsender Affe. Die Witwe war fast restlos verbrannt und ihre Überreste kaum von denen des Bettes zu unterscheiden. So wurde sie mit ihrer Matratze in einer Urne beigesetzt.
Bonnie sah auf die Uhr. Der Anwalt hatte noch genau vier Minuten Zeit. Sie war in Schweiß gebadet und so hungrig, dass ihr fast übel wurde.
Sie war gerade dabei den Schlüssel im Zündschloss zu drehen, als an der gegenüberliegenden Straßenseite ein rotes Porsche Cabriolet hielt, aus dem ein sonnengebräunter blonder Mann
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