Das Inselcamp
Hand im Gesicht.
»Na los!«, fuhr Pitt schließlich den Diakon an. »Spucken Sie’s aus!« Sie waren längst fertig mit dem Frühstücken, aber noch immer saßen sie im Kreis. Und noch immer starrte Jott sie an.
Er hatte gerade Tom im Blick. Und er ließ sich nicht stören. »Gut, wir haben Mist gebaut!«, rief Tom. »Das mit dem Wunder von Kana war wohl kein Gag.« »Es war dumm und gefährlich«, sagte Johanna. »Und furchtbar kindisch«, setzte Simone hinzu.
»Wir wollten nur ein bisschen Spaß«, meinte Matti. »Mal wieder richtig feiern«, sagte Philip. »Es ist so unwirklich hier«, flüsterte Tamara. »So anstrengend .«
Erst als sie alle ihre Meinung gesagt hatten, machte Jott seinen Mund auf. Beinahe waren sie erleichtert, seine langweilige Stimme zu hören. »Wer war’s?«, fragte er.
Die zwölf zuckten zusammen. Sie wechselten ungläubige Blicke. Keiner von ihnen hatte sich bisher diese Frage gestellt. Die, genau genommen, nahelag: Einer von ihnen hatte den Alkohol in das Wasser geschüttet. Es war nicht wirklich ein Wunder gewesen.
Schließlich räusperte sich Lena. »Ich glaube nicht, dass das was zur Sache tut«, sagte sie. »Wir müssen niemanden melden. Und die Eltern brauchen es nicht zu erfahren.«
Diakon Jott stand langsam auf. »Wer das getan hat, ist gemeingefährlich«, sagte er und zum ersten Mal war keine Spur von Langeweile in seiner Stimme. »Das Projekt ist gescheitert. Packt alles zusammen. Wir reisen ab.«
Damit raffte er sein Gewand und verließ den Kreis. Sie sahen ihm nach, wie er zum Watt ging – das Wasser war gerade fort – und weiter und weiter hinaus.
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… der werfe
»Das kann er nicht machen!«, rief Pitt in das betretene Schweigen. »Wo unsere Gewänder fast fertig sind!«, ergänzte Johanna weinerlich. »Und Bergfest hatten wir auch schon«, sagte Simone. Die anderen zogen Grimassen. »Wir haben nicht bestanden«, bemerkte Tamara und sah Lena an. »Wir sind es nicht wert.«
»Was redest du da!« Pitt und Tom fielen gemeinsam über sie her. Pitt bedauerte wieder einmal, dass Tamara keinen Zopf mehr hatte.
»Ich war das!«, sagte Jacques plötzlich. »Mir ist nichts anderes eingefallen.« Die elf fuhren zu ihm herum. Sie starrten ihn an, als sähen sie ihn zum ersten Mal. Und vielleicht war es so. Niemand von ihnen hatte Jacques je beachtet.
Jacques war lang und dünn. Er hatte strähniges Haar, mittelblond, unauffällig, ein schmales, pickeliges Gesicht und trug meistens Tarnfarben.
»Immerhin«, meinte Simone. »Es war eine Geschichte aus der Bibel.« Tamara zeigte ihr einen Vogel. »Cool«, sagte Tom. »Woher hattest du den Alk?« Jacques hob die Schultern. »Mein Dad hat jede Menge davon.«
»Moment!« Judith fuhr auf. »Du hattest ihn die ganze Zeit dabei? Hast ihn mitgeschleppt, zu Fuß von der Fähre? Wozu?« Jacques hob wieder die Schultern. »Ich brauch das«, sagte er ganz leise. Britt mogelte sich an seine Seite. »Du trinkst?«, fragte sie und schaute ihm in die Augen.
Jacques hob zum dritten Mal die Schultern. »Nein, nicht richtig«, wehrte er ab. »Nur – ja.« Er holte eine kleine Metallflascheaus der Tasche seines Parkas. »Wenn ich Mut brauche«, gestand er.
»Wozu brauchst du Mut?«, entfuhr es Pitt. Jacques ließ sich viel Zeit mit der Antwort. »Zum Aufstehen am Morgen«, sagte er dann. »Und für den Tag. Um Leuten wie dir unter die Augen zu treten.«
Auf einmal war Jott wieder da. »Bruder«, sagte er, »der Mut aus der Flasche ist Mist. Er lässt dich allein, glaub mir: Er lässt dich im Stich.«
Die zwölf waren mucksmäuschenstill. Jott und der Geist der Flasche – also doch? Jott und Jacques – und wie weiter? »Amen«, sagte Tom schließlich. Tamara sah ihn böse an.
»Jakobsen!« Britt stand auf. Zum ersten Mal seit Tagen stand sie gerade. »Sie sind nicht der, der hier richten kann. Raten können Sie, helfen. Glauben Sie nicht, dass wir Jacques besser helfen können als sein Dad?«
Lena stand auch auf und stellte sich zu Britt. Judith, Tamara, Johanna und Simone taten es ihr gleich. Es dauerte eine ganze Weile, bevor auch die Jungen begriffen, was das sollte. Dann schlossen sie sich an.
Dreizehn standen gegen Jott. Und Simone sagte langsam: »Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.« »In der Bibel heißt das anders«, bemerkte Johanna. »Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein«, sagte Tamara. »Johannes 8.«
Die zweite Woche
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