Das Inselcamp
die Hände. Rückwärts wich sie zurück. »Das ist zu viel«, sagte sie. »Das – geht – mich – nichts – an.«
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Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht
Judith und Andi fanden den Diakon nicht. Außer dem Strand blieb nur der Campingplatz zum Suchen. Hier und dort saßen die Camper noch draußen, um die Glut ihrer Grillfeuer, und unterhielten sich leise. Wo Bier im Spiel war, war es lauter.
»Wir müssen was tun«, sagte Judith plötzlich zu Andi. Sie griff nach seiner Hand, um sich Mut zu machen. Dann ging sie auf eine der Urlaubergruppen zu. »Ist bei Ihnen ein Arzt? Wissen Sie, wo ein Arzt ist?«
Ein Mann stand auf, die Flasche in der Hand. Er trug Badeshorts und über seinen Schultern hing ein Handtuch. »Ihr seid die Verrückten von nebenan«, stellte er fest. Er zeigte mit der Flasche in die Richtung des Lagers. »Was ist geschehen?«
»Sind Sie Arzt?«, fragte Judith nervös. »He, Rudi!«, rief eine der Frauen. »Ich weiß einen Arzt. Der glatzköpfige Alte mit dem Fransenbart: Hat er nicht dieses Kind verarztet, das mit der Feuerqualle gespielt hatte?« »Wo?«, fragte Andi. »Wo ist er?« Die Frau wies auf eines der kleineren Zelte. »Schläft wohl.« Judith zog Andi mit sich.
»Sind Sie Arzt?« Er war tatsächlich glatzköpfig und alt. Sein Bart war hell, vielleicht grau, vielleicht blond, auffällig dünn und fransig. Er war nicht sonderlich freundlich. »Alkohol?«, brummte er, als er neben Judith und Andi vor dem Loch im Zaun stand. »Ihr seid doch Kinder!«
»Es war ein Spiel!«, rief Judith ungeduldig. »Ein Streich! Auf einmal war Wodka im Wasser. Wie in der Geschichte, wissen Sie, von Jesus …«
»Jesus – Wodka …« Der Mann schüttelte unwillig den Kopf. »Passt denn keiner auf euch auf?« Andi half ihm durch das Loch. »Oh doch. Ein Diakon. Und Judiths Mutter.«
Judith packte den Alten beim Arm. »Wollen Sie uns etwa Ärger machen?«, fragte sie misstrauisch. »Hören Sie, das war einmal, ein einziges Mal! Es muss doch … keine Folgen haben?« Er schüttelte sie ärgerlich ab. Er gab ihr keine Antwort.
Das Lager lag im Dunklen. In einem ordentlichen Kreis lagen zehn Schlafsäcke. Zehn Schläfer. Zwei oder drei von ihnen schnarchten leise. Im Hintergrund standen die beiden Zelte: das Küchenzelt und das Wohnzelt. Nichts lag herum. Nur zwei Kanister standen umgedreht mit geöffneten Verschlüssen. Tropften aus.
Der Alte blieb mit Judith und Andi am Rand stehen. Die beiden staunten mit offenen Mündern. Die zehn hatten ein Wunder vollbracht.
Der Alte rieb sich die Augen. Von der anderen Seite kamen ein Mann und eine Frau. Im Dunklen waren sie nicht gut zu erkennen. Der Mann schien einen langen Kittel anzuhaben. Die Frau war klein und energisch.
»Unsere Betreuer«, sagte Judith deutlich. »Ganz schön spät«, murmelte Andi und sie knuffte ihn warnend. Der Arzt sah von Lena zu Judith. »Deine Mutter!«, sagte er. »Und Diakon Jakobsen«, sagte Judith. »Sie passen schon auf.«
Auf einmal reichte der Arzt ihr und Andi die Hand. »Ich geh wieder schlafen«, erklärte er. Andi starrte ihn verblüfft an. »Ja, aber, was ist …?« Der Alte wehrte ab. »Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht«, erklärte er. Dann verschwand er durch das Loch im Zaun so rasch und leicht, als sei es ein Scheunentor.
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Böses Erwachen
Am Morgen gab es keinen Weckruf. Auch die Sonne weckte sie nicht. Sie schlief selbst hinter einem Schleier aus Dunst und grauen Wolken. So dauerte es ein oder zwei Stunden länger als üblich, bis sich der eine oder andere Schlafsack regte. Leises Stöhnen und Seufzen setzte sich fort, von einer Isomatte zur anderen. Dann wurden die Reißverschlüsse aufgezogen.
Die zwölf taumelten zu zweien oder dreien zum Klo. Und alle flüsterten sie das Gleiche: »Was wird Jott sagen?« »Die Höllewird er uns heißmachen.« Und nur Andi blieb cool. »Was kann er schon sagen? Er war ja nicht da.«
In gewisser Weise hatte Andi recht. Diakon Jott sagte tatsächlich nichts. Trotzdem war er unangenehm. Er hielt sich nicht wie sonst abseits von allem. Auf einmal war er mittendrin. Saß im Kreis und starrte sie an, der Reihe nach. Einen von den zwölf nach dem anderen.
Lena verteilte kalte Fladen vom Vortag zum Frühstück. Dazu gab es Wasser. Es machte niemandem etwas aus, dass Jott nicht gekocht hatte. Sie hatten schwere Köpfe. Jacques sah noch immer ziemlich grün aus. Außerdem trug er die Spuren von Britts
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