Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Inselcamp

Das Inselcamp

Titel: Das Inselcamp Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Steinkuehler
Vom Netzwerk:
passte genau zu Philips Rhythmus.
    Andi blieb der Mund offen stehen. »Was macht sie denn da?«, fragte Johanna irritiert. Tamara schaute sich nach Lena um, die hinter den zwölf allein saß und ein leeres Glas in ihren Händen drehte. »Von mir hat sie das nicht«, murmelte Judiths Mutter.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
    Die wahren Verwandten
    Später wurde das Trommeln leiser und ruhiger. Und aus dem Dunklen fiel eine Mundharmonika ein. »Oh, der Jott!«, stöhnte Tom voreilig. Er irrte sich. Diakon Jott war es nicht, der nun ein paar schräge Seemannslieder zur Unterhaltung beitrug, sondern Jacques. Jott war genau genommen überhaupt nicht da.
    »Was soll das für ein Abendprogramm sein?«, murrte Pitt nach der fünften oder sechsten Melodie. »Ohnsorgtheater?« Gerade in diesem Augenblick änderte Jacques Stil und Tempo. »Donau, so blau, so blau …«, murmelte Tamara. Und wirklich: Jacques und Philip spielten Walzer.
    Neun stöhnten. Zwei spielten. Johanna aber erhob sich wie traumwandelnd und breitete die Arme aus. Sie nahm Tanzhaltung ein, obwohl niemand da war, der mit ihr hätte tanzen wollen. Jedenfalls dachten das alle.
    Da trat plötzlich Lena auf Johanna zu, nahm sie in die Arme und legte los. Walzer rechts, Walzer links, in einem weiten Kreis um die elf, in schwindelerregendem Tempo. »Ich werd nicht wieder«, sagte Simone, stellvertretend für Britt, die das eigentlich hätte sagen müssen. Aber Britt sagte ja gar nichts mehr.
    Als der Walzer vorbei war, trat Judith zu ihrer Mutter. Ihre offenen, leeren Hände stemmte sie in die Hüften und reckte das Kinn vor. »Was ich immer schon mal fragen wollte«, sagte sie in das erhitzte, gelöste Gesicht ihrer Mutter: »Wer ist eigentlich mein Vater?«
    Lenas Arme fielen von Johanna ab und Johanna brachte sich rasch in Sicherheit. Mit eingezogenem Kopf. Als ob blaue Bohnen flögen. Die Musik verstummte. Die elf bildeten einen geschlossenen Kreis. »Ach«, sagte Lena endlich. »Ich habe es immer sehr zu schätzen gewusst, dass du mich nicht nach ihm fragtest.«
    Judith nickte. »Trotzdem«, sagte sie. Lena trat einen Schritt auf sie zu. Der wirkte fast bedrohlich. »Hier?«, fragte sie leise. »Jetzt? Vor allen?« Laut und rasch ging ihr Atem. Das war wohl noch vom Walzer.
    »Das sind alles meine Geschwister«, sagte Judith mit einer Geste, die den Kreis umschloss. Lena wartete, bis sich ihr Atem beruhigt hatte. »Gut«, sagte sie dann plötzlich. »Damit erübrigt sich deine Frage.« Elf Paar Augen sahen sie verständnislos an. Dann räusperte sich Tamara und sagte: »Matthäus 12,46–50.«

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
    In guten wie in schlechten Zeiten
    »Nein«, sagte Philip, bevor es peinlich wurde. »Nicht Matthäus! Dieses Abendprogramm beschäftigt sich mit Johannes. Wir wollen nämlich« – und sein Blick streifte Britt – »Hochzeit feiern.«
    Der Kreis löste sich auf. Jacques zog einen Schleier hervor. »Wir brauchen zwei Freiwillige«, sagte er. »Braut und Bräutigam.« Lena sah, dass Judiths Augen zu Andi wanderten, unwillkürlich, und atmete erleichtert auf. Das Kind war abgelenkt. Und sie erlöst. Sie verzog sich auf ihren unbeachteten Platz hinter dem Geschehen. Zu dumm, dass Jott nicht da ist, dachte sie noch.
    Die zehn murmelten Abwehr. Kindergarten. Nicht mit mir. Nur über meine Leiche. Kicherten. Ach ja, das hatten wir doch schon … Schließlich zogen sie Lose. »Ein Gottesurteil«, lästerte Pitt.
    Andi blickte sich verstohlen nach Jott um. Aber der war ja nicht da. Britt hob den Fuß und trat Pitt gegen das Schienbein. »Autsch!«, brüllte er. »Spinnst du?« Er griff in ihr Haar. Abgesehen vom Pony war noch allerhand da, um daran zu ziehen.
    Das Los fiel auf Matti. Ausgerechnet. Niemand konnte in Matti etwas anderes sehen als einen kleinen, rotgesichtigen Jungen. Und neben Matti Judith. »Wenigstens sind sie gleich groß«,sagte Johanna. »Gleich klein, meinst du wohl«, verbesserte Simone.
    Andi riss nervös an seinem T-Shirt. Er schaute überall hin, nur nicht zu Judith. »Wir müssen das nicht machen!«, stieß er hervor. »Der Jott ist nicht da. Wir müssen gar nichts machen!«
    Pitt betrachtete seinen Bruder und dann blitzte es in seinen Augen. »Da würd ich nicht drauf wetten«, sagte er. »Und überhaupt: Was kann es schaden? Besser als Bibellesen ist es allemal.«
    Also machten sie es. Judith bekam den Schleier, der in Wahrheit ein Stück von einem Mückennetz war, und Matti eine Distelblüte in den Ausschnitt.

Weitere Kostenlose Bücher