Das Intercom-Komplott
. BITTE UM ANGABE VON ZEITPUNKT UND ORT .
CARTER
Höflich, aber entschlossen, dachte ich. Hatte ich doch klargemacht, daß a) seine gutgemeinten Ermahnungen nicht nur zu spät kamen, sondern auch überflüssig waren, und daß ich b) nicht bereit war, in aller Zukunft seinen Anordnungen zu entsprechen, ohne viel zu fragen, wie es bis jetzt der Fall gewesen war.
Nachdem ich Nicole den Telegrammtext gegeben hatte, damit sie ihn aufgab, fühlte ich mich wohler.
Das Mittagessen ist meistens meine wichtigste Tagesmahlzeit. Fast immer nehme ich es in einer Brasserie in der Rue du Rhône ein. Sie liegt nicht weit von meinem Büro, man ißt dort gut und preiswert, und vor allem hat sie sich noch immer der neumodischen Resopaltische und Chromverkleidungen erwehren können. Um die Mittagszeit findet man hier vor allem Geschäftsleute aus dem Stadtzentrum; zwar nicht die feinen Typen von der Chase Manhattan Bank, von Du Pont oder von Chrysler, aber doch Manager mit mittlerem Einkommen, wachsenden Familien und einem Häuschen in einem der Vororte des südlichen Seeufers. Journalisten sah man hier nur selten. Ich war daher einigermaßen überrascht, als Emil Strommin hereinkam, und noch mehr verwunderte es mich, daß er auf mich zustrebte und fragte, ob er an meinem Tisch Platz nehmen dürfte.
Strommin war im Besitz eines österreichischen Passes, stammte aber, wie man behauptete, aus Pommern. In Genf war er zum erstenmal aufgetaucht, als er 1963 für das bulgarische Telegrafen- und Radiobüro über die Abrüstungskonferenz berichtete. Und nachdem er die Unterzeichnung des Atomversuchsstopp-Abkommens in Moskau beobachtet hatte, war er wieder hierher zurückgekehrt, um die Leitung des kleinen Mitteleuropa-Büros der bulgarischen Nachrichten-Agentur zu übernehmen. Einen Nebenverdienst sicherte er sich dadurch, daß er für einige ostdeutsche, österreichische und italienische Zeitungen als freelance-Korrespondent arbeitete. Er setzte sich mit Verve für die Durchführung west-östlicher kultureller Austauschprogramme ein, und ihm war es zu verdanken, daß ein ge duldiges Schweizer Publikum ein bulgarisches Volkstanzensemble, eine ruthenische Marionettenbühne und ein ostdeutsches Kammerorchester über sich hatte ergehen lassen. Zu der Zeit, von der ich gerade spreche, galt er bei den meisten der Genfer Auslandsjournalisten als Original. Er ist ein spindeldürrer, kleiner Mann mit dunklen braunen Augen, blassen, faltigen Wangen und dem unsicher-erstaunten Blick eines älteren Dackels. Ich konnte gar nicht finden, daß er ein Original war, sondern hielt ihn für einen ermüdenden Langweiler, dem man besser aus dem Wege ging. Seine Überzeugung, ich stünde ideologisch ganz auf Seiten der imperialistischen amerikanischen Hyäne Novak, hatte mit dazu beigetragen, ihn auf Distanz zu halten, und ich sah wirklich keinen Anlaß, ihn in seiner Ansicht zu korrigieren.
Als er sich setzte, sagte ich: »Der General weilt zwar nicht mehr unter uns, aber seine Seele hat uns noch nicht verlassen. Ist es nicht gefährlich für Sie, wenn man Sie sieht, wie Sie mit mir fraternisieren?«
Er sah mich merkwürdig unsicher an. »Fraternisieren?«
»Nun ja – wenn wir zusammen einen trinken.«
Nun warf er mir einen eher vorwurfsvollen Blick zu. »Verschiedene Kollegen haben den Eindruck, daß Sie seit dem Tod des Generals nichts mehr mit ihnen zu tun haben wollen. Man macht sich Sorgen um Sie, man will wissen, was mit Ihnen los ist.«
»Das freut mich, daß man sich so um mich kümmert. Aber wie Sie sehen, schmeckt es mir noch ganz gut.«
»Man meinte – und das nicht nur einmal –, Sie sollten zu einer mehr konventionellen Tätigkeit als Journalist zurückfinden.«
»Sie meinen, zu einer weniger zwielichtigen? Zu einer ehrbareren?«
»Wenn Sie es so ausdrücken wollen, warum nicht? Sie haben unter den Kollegen viele gute Freunde.«
»Ich erfreue mich zwar keines guten Rufs, aber ich bin doch mein eigener Herr.«
Seine Augenbrauen hoben sich. »Sind Sie das wirklich? Das ist interessant zu hören. Man überlegt sich immer wieder, wer der Nachfolger des Generals sein könnte.«
In diesem Augenblick kam die Kellnerin, um seine Bestellung entgegenzunehmen, und ich hoffte, diese Unterbrechung würde ihn auf andere Gedanken bringen. Allzu sicher war ich natürlich nicht; wenn ein Langweiler einmal mit einer Sache angefangen hat, läßt er sie so bald nicht wieder los. Aber man gibt die Hoffnung eben doch nicht so schnell auf.
Er
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