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Das Intercom-Komplott

Das Intercom-Komplott

Titel: Das Intercom-Komplott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Ambler
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Emil, Sie dürfen nicht immer alles durcheinanderbringen.« Ihr Blick wanderte zu mir herüber. »Monsieur Carter, wenn ich recht verstanden habe? Also, Monsieur Carter, als Journalist weiß Emil es natürlich nicht besser. Drei sachliche Irrtümer allein in einem Satz.«
    Sie überhörte Strommins leisen Protest. Sie hatte mich im Visier.
    »Leider kann ich nämlich nicht behaupten, Expertin zu sein«, fuhr sie fort. »Der Fachmann sitzt neben mir, Pierre Morin. Ich bin nur ein kleiner Händler. Und die Manuskripte, mit denen ich handle, sind meistens nicht sehr alt. Es sei denn, man wollte Schriftstücke aus dem neunzehnten Jahrhundert als alt bezeichnen.«
    Nun mischte sich auch Morin ein.
    »Und wenn man von seltenen Manuskripten spricht«, sagte er, »so ist dies eine Contradictio in termino. Ein Buch kann selten sein, ein Porzellan. Nie jedoch ein Manuskript. Jeder handschriftlich niedergelegte Text besteht nur in einem einzigen Exemplar, gleichgültig, ob er nun gestern entstanden ist oder vor hundert Jahren.« Mit einemmal grinste er. »Aber wir wollen Ihnen nicht den Appetit verderben, Monsieur. Emil schadet es nichts; der ist unseren Unsinn schon gewöhnt. Eh, Emil?«
    Strommin strahlte, als habe man ihm ein Kompliment gemacht. »Ich bin immer bereit, etwas dazuzulernen. Aber sagen Sie mir« – dabei senkte er seine Stimme –, »haben Sie etwas erreichen können? Oder ist es noch zu früh, etwas darüber zu sagen?«
    Madame Coursaux runzelte die Stirn und blickte zur Kellnerin hinüber, die vom Nachbartisch das Geschirr abräumte. »Wir hoffen noch«, antwortete sie kurz angebunden.
    Sie bestellten sich wahre Riesenportionen und eine Flasche Wein. Ich ließ mir eine Tasse Kaffee bringen.
    Kaum war die Kellnerin gegangen, kam Strommin wieder auf die Manuskripte zu sprechen.
    »Monsieur Carter ist Journalist, ein Kollege, aber er wird sicher diskret sein können. Darf ich ihm erzählen, was Sie hier in Genf tun, Madame? Es ist faszinierend. Ein richtiger Kriminalroman.«
    Seine Hartnäckigkeit ließ mich um sein Leben fürchten, aber sie trug ihm nur einen kleinen Rüffel ein.
    »Wenn Sie es erzählen, mon cher Emil, bin ich davon überzeugt, daß keine der wesentlichen Tatsachen korrekt wiedergegeben wird. Und Monsieur Carter käme damit also gar nicht in die Verlegenheit, diskret sein zu müssen.«
    Strommin lachte wiehernd. »Dann korrigieren Sie mich, wenn ich mich irre, Madame. Sie erfuhren also vor einigen Monaten von einem Schweizer Vertrauensmann, man habe bisher noch unbekannte Briefe der beiden Anarchisten Alexander Herzen und Sergej Netschajew, die im neunzehnten Jahrhundert lebten, entdeckt. Ein solcher Briefwechsel …«
    »Herzen war gewiß kein Anarchist«, fiel Morin ihm heftig ins Wort, »und Netschajew als einen solchen zu bezeichnen wäre höchst oberflächlich. Herzen war Liberalsozialist und Wegbereiter der russischen Volkspartei. Netschajew war vielerlei – Terrorist, Krimineller, Idealist und Prahlhans –, aber man kann ihn nicht mit Männern wie Proudhon, Bakunin und Malatesta vergleichen.«
    »Ich wollte sie auch gar nicht miteinander vergleichen. Ich wollte nur …«
    Weiter kam er nicht. Nun war es wieder Madame Coursaux, die das Gespräch an sich riß. »Die Bedeutung dieser Korrespondenz, falls sie wirklich echt ist, liegt darin, daß sie uns Auskunft über den Autor des Revolutionären Aktionsprogramms von 1868 gibt. Denn dies ist auch das Jahr des angeblichen Briefwechsels. ›Angeblich‹, weil Morin seine Echtheit bezweifelt. Auch ich kann mich noch nicht festlegen. Der überlieferte Briefwechsel zwischen beiden, dessen Echtheit erwiesen ist, unterscheidet sich von dem jetzt gefundenen Material erheblich; man darf jedoch nicht vergessen, daß Netschajew ein Mann mit vielen Gesichtern war. Für Sie, Monsieur Carter, ist es wahrscheinlich schwer zu verstehen, wie wichtig ein paar alte Briefe sind, die Männer geschrieben haben, von denen Sie vermutlich noch nie etwas gehört haben, aber für die Wissenschaft und …«
    Das genügte. Ich unterbrach sie. »Und was ist mit Herzens Memoiren?« fragte ich sie. »Er arbeitete an ihnen 1868 hier in Genf. Und er führte ein Tagebuch. Ich weiß, daß er von Netschajew nicht allzu viel hielt. Bakunin schrieb er, Netschajew sei ein Gauner. Wenn die Korrespondenz wirklich so wichtig ist, wie Sie sagen, kann ich nicht glauben, daß Herzen sie nicht irgendwo erwähnt hat. Sie haben doch sicherlich nachgesehen?«
    Wenn Blicke töten

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