Das Intercom-Komplott
aber ich glaube nicht, daß es einem von uns schmeckte. Und während des Essens erzählte er mir, was er erlebt hatte.
Ich muß Ihnen etwas gestehen, Mr. Latimer. Ich bin kein allzu großer Freund von Kriminalromanen, und es kommt nur selten vor, daß ich einen lese. Manche Ihrer Bücher habe ich natürlich gelesen – diejenigen jedenfalls, deren englische Ausgabe mein Vater besaß –, aber erst dann, als ich Sie kennengelernt hatte. Weil es mir ein Gebot der Höflichkeit schien und weil ich wissen wollte, wie gut Sie zu schreiben verstanden. Sie gefielen mir wirklich sehr gut. Die Handlung ist äußerst raffiniert, der Stil besser als bei den meisten anderen. Vor allem aber ist keine einzige der darin vorkommenden Figuren gezwungen, sich unrealistisch zu benehmen. O Gott, das muß in Ihren Ohren sichtlich furchtbar impertinent und aufdringlich klingen, aber vielleicht wissen Sie doch, was ich damit sagen will. Was ich in solchen Geschichten nicht verstehen kann, sind jene Typen, die sich in eine bedrohliche Situation verstricken lassen und die gefährlichsten Abenteuer nur deshalb zu überstehen haben, weil sie aus nur schwer verständlichen Gründen die Polizei nicht rechtzeitig riefen. Die Autoren müssen ihre Leser wohl für Trottel halten, und das bringt mich immer wieder in Wut.
Und genauso ärgerlich wurde ich, als mein Vater mir zu erklären begann, warum er nicht zur Polizei gehen könne, um ihr alles zu sagen. Natürlich ärgerte ihn das auch. Er wurde richtig böse.
»Und was soll ich der Polizei erzählen? Was schlägt Fräulein Tollkühn vor?« fragte er.
»Du selbst hast gesagt, du wärest entführt worden.«
»Man hat mich tatsächlich entführt.«
»Und geschlagen.«
»Wie soll ich das beweisen? Mit meinem verbogenen Brillenrahmen?«
»Du könntest deine Aussage beeiden.«
»Mein Wort stünde gegen das ihre – eine Aussage gegen drei.«
»Ja«, antwortete sie, »aber gerade das ist es ja: sie sind zu einer Aussage gezwungen. Sie würden von der Polizei vernommen werden und müßten zu den Vorwürfen Stellung nehmen. Wenn es wirklich Leute vom KGB waren, wie du annimmst, wäre ihnen das bestimmt nicht recht. Was meinst du wohl – warum haben sie dich davor gewarnt, zur Polizei zu gehen?«
»Weil ich, wenn ich es täte, ihnen gewisse Schwierigkeiten bereiten würde.«
»Und das ist immerhin besser als nichts. Zumindest begreifen sie, daß du dich nicht einschüchtern läßt.«
»Und sie wissen dann auch, daß ich auf Drohungen mit sinn- und wirkungslosem Trotz reagiere. Mir wäre es lieber, wenn sie das nicht in mein Dossier schrieben.«
»Du willst also gar nichts unternehmen?«
»Es bleibt mir nichts anderes übrig.«
»Du solltest zumindest Dr. Bruchner anrufen und ihn um Rat fragen.«
Darauf antwortete er nicht mehr. Ich glaube fast, er hörte es nicht einmal. Er war mit seinen Gedanken plötzlich irgendwo anders. Ich ging in die Küche, um Kaffee zu kochen.
Als ich zurückkam, saß er noch immer am Tisch und starrte auf seinen Teller.
»Eines verstehe ich überhaupt nicht«, sagte er.
Sonst hatte er alles durchschaut? Es kostete mich Mühe, es nicht laut zu fragen.
»Sie wollten nicht wissen, was ich als nächstes unternehmen würde«, fuhr er fort. »Ich an ihrer Stelle hätte bestimmt erfahren wollen, ob noch mehr solcher Bulletins existierten und, wenn ja, was mit ihnen geschehen würde. Aber das interessierte sie nicht. Morin deutete vage an, daß seine Kollegen unter Umständen weitere Fragen stellen und Vorschläge machen würden, aber das war auch alles. Das deutet darauf hin, daß ihre Aufgabe darin bestand, die Quelle der Bulletins zu erfahren und mich für die Zukunft ein wenig gefügig zu machen. Er warnte mich davor, zur Polizei oder den Schweizer Sicherheitsbehörden zu gehen; würde ich es doch tun, drohte er mit Repressalien. Aber er forderte mich nicht auf, nicht mehr zu veröffentlichen, was Bloch mir schickte. Ich wüßte nur zu gern, warum er es nicht tat.«
»Vielleicht stellen sie Bloch persönlich ein Ultimatum«, sagte ich. »Er bestimmt die Redaktionspolitik, nicht du. Das hast du ihnen ja auch gesagt. Übrigens – hat er dir denn noch mehr von diesen Bulletins geschickt?«
»Ja, eines.« Er erzählte mir von dem Electret-Artikel. »Ich nehme an«, fuhr er fort, »wenn die nächste Nummer erschienen ist, habe ich die Engländer am Hals.«
»Dann drucke es eben nicht.«
»Sei doch nicht albern, Valerie. Natürlich drucke ich es.« Er stand auf.
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