Das Internat
sie. "Ich würde gern den Rest des Hauses sehen. Es ist wunderschön."
Er führte sie durch Räume, die mit unbezahlbaren Antiquitäten und Kunstwerken ausgestattet waren. Mattie versuchte, die prachtvolle Vielfalt an Farben und Stoffen in sich aufzunehmen. Insgesamt dominierten Blau und Gold, die Farben des Meers, das hinter den Fenstern wogte. Abschließend zeigte Grace Mattie einen Innenhof, der sie an den der Rowe-Akademie erinnerte, nur dass dieser komplett verglast war.
In der Mitte gab es einen kleinen Seerosenteich. Darin saß auf einigen Stufen eine Meerjungfrauenfigur, die eine perlmuttfarben glänzende Muschel in den Händen hielt, aus der ein Wasserfall in den Teich plätscherte. Zarte Farne reichten bis zur Glasdecke, die Licht hereinließ und vor dem Regen schützte.
"Wem gehören die?", fragte Mattie, als sie die Gemälde bemerkte, die auf Staffeleien im Raum standen. Grace war in eine Ecke getreten, in der mehrere Kohlezeichnungen aufgereiht standen. Als Mattie näher trat, erkannte sie, dass jedes Bild die gleiche Person zeigte, eine verlorene junge Frau, deren Gesichtszüge von Schatten verhüllt waren, nur die Augen nicht.
Mattie beschlich ein unheimliches Gefühl, denn ihr wurde klar, dass sie die abgebildete Frau kannte. Es erschien ihr völlig unmöglich, bis Mattie einfiel, dass David Grace eine Liebesbeziehung mit ihr gehabt hatte.
"Es sind meine", sagte er nur.
Mattie ging zu einem der Bilder hinüber, angezogen von dem distanzierten, nach unten gewandten Blick der Frau. "Sie sind wunderschön", sagte sie. "Einfach bezaubernd. Wer hat sie gemalt?"
Sie drehte sich um, sah Grace an und fragte sich, ob sie diese Frage hätte stellen sollen. "Die Bilder sind nicht signiert."
"Wie ich bereits sagte, es sind meine."
"Sie haben sie gezeichnet? Es ist dieselbe Frau, nicht wahr?"
Plötzlich hörte sie Schritte im Flur, die sich ihnen näherten. Douglas kam mit erwartungsvoller Miene um die Ecke. "Entschuldigen Sie bitte vielmals die Störung. Ein Anruf für Sie, Sir. Es ist wichtig."
Mattie blickte Grace immer noch an. Er lächelte sie entschuldigend an und schien zu begreifen, dass sie auf eine Antwort wartete.
"Ich habe immer geglaubt, dass Kunst dem Unaussprechlichen eine Gestalt gibt. Wenn Sie mich entschuldigen würden, ich muss dieses Gespräch annehmen."
Mattie sah ihn davongehen und wurde sich bewusst, dass sie keine Ahnung hatte, was sie von David Grace halten sollte. Er wirkte wie um die fünfzig, war offensichtlich kultiviert, attraktiv, intelligent und sanftmütig. Aber genau wie die Frau auf den Bildern verrieten seine Augen ein großes Seelenleid. War dies das Gefühl, das er nicht ausdrücken konnte?
Die vielen Eindrücke erschöpften Mattie. Sie hatte nicht einmal bemerkt, dass Douglas noch immer in der Ecke stand.
"Miss Smith, möchten Sie jetzt auf Ihr Zimmer gehen?"
"Ja, danke, Douglas", sagte sie. "Ich bin wirklich müde."
Als sie die Obstschale entdeckte, lief Mattie das Wasser im Munde zusammen. Ihr Magen knurrte laut. Erdbeeren, helle Weintrauben, Mangos und Pfirsiche quollen aus einem Füllhorn, das auf der vergoldeten und mit Samt bezogenen Bank vor ihrem Bett stand. Auf dem Korbtablett waren außerdem eine Vase mit frischen Blumen, Irischer Cheddarkäse und eine Karaffe mit edlem Rotwein angerichtet worden.
An diesem schönen Nachmittag würde Mattie einfach schlemmen.
Der Raum war luxuriös ausgestattet, ein Schlafzimmer wie für eine Prinzessin. Das Federbett sah aus, als könnte es Mattie an die Decke katapultieren. Die Fensterläden ließen gerade so viel Licht herein, dass es im Zimmer rosa schimmerte. Mattie nahm sich kaum die Zeit, den spitzenbesetzten Bettüberwurf oder die teuren Kissenbezüge zu bewundern. Stattdessen griff sie nach einem Pfirsich und ging damit ins Nebenzimmer. Während sie badete, wollte sie ihn essen.
Auf eine moderne dreiköpfige Dusche mit goldenen Armaturen war Mattie nicht gefasst gewesen. Vorsichtig legte sie den Pfirsich auf die Frisierkommode aus Marmor, während sie sich von dem Wasser überfluten ließ. Rosafarbene Marmorsäulen umgrenzten den Duschbereich.
Eingekuschelt in einen dicken Frottierbademantel, legte Mattie sich später auf eine samtbezogene Liege und aß die saftige Frucht. Das einzig Gute an einem starken Hungergefühl ist, wie wunderbar das Essen dann schmeckt, dachte Mattie. Ihre Geschmacksnerven schienen stärker zu reagieren als sonst. Mattie seufzte. Als Nächstes probierte sie den Rotwein und dazu
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