Das Internat
abgelehnt. In den Augen meines Vaters war ich ein Versager, ein Schwächling. Er wollte, dass ich ein Geschäftsmann werde, aber er hat mir nie gezeigt, wie ich mit meinen Talenten in der Geschäftswelt erfolgreich hätte sein können. Das musste ich selbst herausfinden."
Er streckte seine Hand aus. "Ich habe mich um dich gekümmert, Tansy. Ich wollte, dass meine Töchter ihre Ängste bezwingen und immun gegen Schmerzen werden, damit sie das nicht durchleiden müssen. Ich habe es für dich getan. Und du hast recht wegen Ivy. Sie war zu sehr wie ich."
Tansy schien bei der Nennung des Namens ihrer Schwester zusammenzuzucken. Mit beiden Händen umfasste sie die Pistole und richtete sie auf ihren Vater.
Mattie wagte nicht, sich zu rühren. Bei der geringsten Bewegung hätte Tansy sie erschossen. Wo zur Hölle waren die Agenten? Hatte Tansy irgendwie ihr Signal sabotiert? Menschen würden sterben.
"Ich konnte sie nicht ändern", sagte Grace. "Ich konnte sie auch nicht retten. Und in Wahrheit habe ich mich und nicht sie verändern wollen. Als ich Ivy begrub, habe ich meinen eigenen Tod genauso betrauert wie ihren."
Er fing an, davon zu sprechen, wie seine Eltern ihn getötet hätten, den echten David, und wie sie ihn in den Spross verwandelt hätten, den sie haben wollten: einen seelenlosen Geschäftsmann, eine Maschine. Tansy sei anders, sagte er. Sie sei immer anders gewesen. Tansy verkörpere alles, was er sich für sich selbst erträumt habe.
Die Details aus Grace' Familiengeschichte kannte Mattie nicht, aber sie konnte sich vorstellen, was in ihm vorging. Er hatte die Mädchen nicht belästigt oder körperlich missbraucht. Mit seinem eigenen unmenschlichen Drang nach Perfektion hatte er ihre Identitäten zerstört, ihre Egos. Er hatte seinen Selbsthass auf sie projiziert und sie sich selbst beweisen lassen, weil er es nicht konnte. All sein angebliches Versagen hatten sie wiedergutmachen sollen. Miss Rowe hatte Ivy nicht getötet. Ivy war vor ihrem Vater geflüchtet, indem sie sich umgebracht hatte, und Tansy tat dasselbe, indem sie verrückt wurde. Sie mochte alles erfüllen, was sich Grace je von einem Kind gewünscht hatte. Doch jetzt befand sie sich komplett außerhalb seiner Reichweite.
Mattie ging ein kalkuliertes Risiko ein. Sie sprang auf die Füße, gleichzeitig wirbelte Tansy zu ihr herum. "Warte!" Mattie hielt die Hände hoch, um ihr zu zeigen, dass sie keine Waffen bei sich trug. "Du hast deine Mutter nicht getötet, Tansy. Ich weiß genau, wo und wie sie starb, und es ist nicht bei deiner Geburt passiert. Sie war nicht einmal schwanger."
Sie nannte Tansy den Ort, das Datum und den Zeitpunkt ihrer Geburt auf die Minute. Mattie erzählte ihr auch von den Umständen. Ihr Vater habe eine Affäre mit Millicent Rowe gehabt. Tansys Mutter habe es herausgefunden und mit Selbstmord gedroht. Sie sei daraufhin in einer Privatklinik an der Amalfiküste behandelt worden, wo sie sich von den Klippen gestürzt habe. Noch im selben Monat habe Millicent Rowe in derselben Klinik vorzeitig ihr Kind bekommen. Rowe sei gesagt worden, dass das Baby tot geboren sei und Davids Frau bei einer Geburt gestorben sei, aber jenes Baby überlebt habe. Nie habe Miss Rowe erfahren, dass Tansy ihr Kind sei; und auch niemand sonst wüsste davon. David habe es geschafft, die Geburtsurkunde für viel Geld ändern zu lassen, nur nicht die Statistiken. Er habe darauf gezählt, dass niemand nachforschen würde.
Hinsichtlich einiger Details bluffte Mattie. Immerhin hatte sie Unterlagen in ihrer Tasche, die die Theorie stützten – Kopien der Todesurkunde und Millicent Rowes Brief. Eilig kramte Mattie die Papiere hervor und zeigte sie Tansy.
Tansy nahm die Urkunde und las sie. "Du hast mich angelogen?", fragte sie ihren Vater. "Du hast mich glauben lassen, dass ich schuld an ihrem Tod sei? Du hast mich dieses Kreuz mein ganzes Leben lang tragen lassen? Und sie war nicht einmal meine richtige Mutter?"
"Ich wusste nicht, dass du dich deswegen schuldig fühltest", erklärte er verzweifelt. "Ich hätte dich das niemals glauben lassen, hätte ich davon gewusst."
Mattie beobachtete, wie Grace zu seiner bestürzten Tochter hinüberging und versuchte, sie mit Erklärungen zu besänftigen. Dass ihre Mutter schwach und zu emotional gewesen sei, erzählte er. Sie habe nicht mit der Realität umgehen können, und traurigerweise sei Ivy nach ihr geraten. Gerade als er nach der Waffe greifen wollte, wich Tansy zurück.
"Geh weg!", schrie sie.
Er
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