Das Internat
große schlanke Blondine mit dem Rücken zu ihr und musterte den kleinen metallenen Brunnen, der, mit Steinen gefüllt und fröhlich sprudelnd, dekorativ in der Ecke des Zimmers platziert war.
Sie hatte sich sehr verändert, aber Mattie erkannte sie sofort. Sogar ohne die permanente Fernsehpräsenz hätte sie sie sofort erkannt.
"Jane?", fragte sie leise.
11. KAPITEL
R owe-Akademie
Herbst 1981
"Wie alt ist sie?", fragte der Mann.
"Vierz…"
"Fünfzehn", fiel Jane Miss Rowe ins Wort, bevor diese ihren Satz beenden konnte. Ihr Innerstes zitterte. Sie hatte einfach vier Monate zu ihrem Alter hinzugefügt, und sie wusste nicht, wie Miss Rowe reagieren würde, aber Jane war verzweifelt. Sie hatte in jedem Vorstellungsgespräch die Wahrheit gesagt und war immer abgelehnt worden. Vielleicht lag es gar nicht am Alter, aber sie wollte es nicht darauf ankommen lassen. Diesmal wollte sie ausgewählt werden. Die Ablehnungen waren peinlich. Sie war die Einzige, die noch nicht ausgewählt worden war.
Was stimmte nicht mit Jane Dunbar? Soweit sie sich erinnern konnte, hatte es nie einen Mann gegeben, der sich für sie interessierte, nicht einmal ihr Vater.
Jane zwang sich, mit dem Mann zu sprechen, und diesmal klang ihre Stimme zittrig und schwach. "Möchten Sie mich küssen?"
Es war wahrscheinlich eine dumme Frage, der Mann war schließlich für unanständigere Dinge als Küsse hierhergekommen. Aber Jane wusste nicht, womit sie anfangen sollte. Als er nicht antwortete, sagte sie sich, dass er bestimmt küssen wolle. Sie hörte ein Geräusch von Schuhen, so als ob jemand verlegen von einem Fuß auf den anderen trat. Vielleicht war er genauso nervös.
Sie standen in dem abgedunkelten Klassenzimmer, das Miss Rowe für alle Vorstellungsgespräche nutzte, und wie die anderen vor ihr stand Jane in einem grellen Lichtschein. Nur seine mit Matsch besprenkelten Schnürschuhe, seine grauen Hosen und den Trenchcoat konnte Jane erkennen. Trotzdem fiel es ihr sehr schwer, sich einzureden, dass ihr ein Junge ihres Alters gegenübersaß, jemand, den sie tatsächlich
gern
küssen würde.
Schließ einfach die Augen, Jane. Du kannst es. Halt die Luft an und denk nicht darüber nach.
Ihre Gedanken rasten, während sie auf eine Reaktion wartete. Wollte er, dass sie einfach weitermachte? Sogar Miss Rowe schwieg. Jane interpretierte das als stillschweigende Aufforderung, fortzufahren.
Sie stellte die Hüfte schräg und beugte den Kopf nach vorn, entschlossen zu ignorieren, dass sie sich schrecklich ungelenk fühlte. "Ich küsse gern." Sie durfte nicht schüchtern sein. Jetzt musste sie alles geben. "Wollen Sie es nicht ausprobieren?"
"
Jane,
eine Dame wartet darauf, dass der Herr sie fragt."
Der strenge Ton der Direktorin beeindruckte Jane kaum. Ihr war wichtiger, dass dieser Mann sie auswählte. Sie hatte sich nicht erlaubt, darüber nachzudenken, was danach passieren würde. Sie wollte nur nicht wieder ignoriert werden und das Gefühl haben, dass es allen egal war, ob sie lebte oder nicht.
Du hast kein gottgegebenes gutes Aussehen, Jane. Du wirst wahrscheinlich nie hübsch genug sein, um das Interesse eines Mannes zu wecken.
Janes Stiefmutter hatte sie mit diesen Worten auf Zurückweisungen vorbereitet. Vielleicht sah sie es als ihre elterliche Verpflichtung an. Sie riet Jane, so früh wie möglich auf eigenen Beinen zu stehen und den eigenen Weg zu finden. Blind hatte Jane ihr vertraut. Schließlich verstand ihre Stiefmutter etwas von diesen Dingen. Sie war umwerfend schön, und Janes Vater war von ihr so besessen gewesen, dass er alles andere vernachlässigt hatte. Um mehr Geld zu verdienen, mit dem er seine "Braut" glücklich machen konnte, hatte er einen zweiten Job angenommen. Janes Stiefmutter hatte sich oft bitter beklagt, dass sie durch die Heirat unzählige Chancen verpasst hätte. Letztlich starb Janes Vater. Sein Blutdruck war gefährlich hoch gewesen, und ein durch Stress verursachter Herzinfarkt hatte ihn in dem Jahr getötet, in dem er dreiundvierzig Jahre alt geworden wäre.
Janes leibliche Mutter hatte sich von ihrem Vater scheiden lassen und das Sorgerecht abgegeben, als Jane noch sehr klein war. Weder hatte sie Fotos von ihr gesehen noch durch Erzählungen etwas über sie gehört. Ihr Vater hatte es verhindert. Er hatte ihr nur erzählt, dass ihre Mutter Alkoholikerin gewesen sei und es mit ihr ein schlimmes Ende genommen habe, sei sie doch noch vor ihrem dreißigsten Lebensjahr gestorben.
Janes Stiefmutter hatte
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