Das irische Erbe
es sie nur in Weiß, Rosa und Rot. Die blaue Farbe entstand, wenn der Boden angesäuert wurde. Ob Maureen sich damals um die Pflanzen gekümmert hatte? Wohl eher nicht. Maureen hatte keine Freude an Irland gehabt.
Tims Zugmaschine kam in ihr Blickfeld, dann ein Anhänger voller Mist. Er und Piet hatten die Boxen gründlich ausgemistet.
Sie seufzte und blickte wieder auf ihre Unterlagen. Aber ihre Gedanken schweiften ab. Bald war Weihnachten, nur noch wenige Wochen bis dahin. Sie musste an das letzte Fest denken, das sie in Viktors Wohnung verbracht hatte. Es war draußen bitterkalt gewesen und hatte sogar kurz geschneit. Sie fror die ganzen Tage über, weil Viktor die Heizung nur mäßig aufdrehte. Er schenkte ihr eine teure Halskette und sie ihm eine Lohengrinaufnahme, von der er gesprochen hatte und über die er sich sehr freute. Er hörte die Aufnahme immer wieder und ebenso alle anderen Wagnerstücke, während sie gerne Weihnachtslieder aufgelegt hätte. Als sie nach drei Tagen zurück in ihre Wohnung fuhr, legte sie sich für zwei Stunden in die Badewanne und ließ so lange heißes Wasser nachlaufen, bis sie nicht mehr fror.
Sie wandte sich wieder ihren Berechnungen zu und addierte schließlich alle Posten. Konnte das stimmen?
Nina tauchte auf dem Hof auf. Sie sprach kurz mit Piet und kam dann ins Haus. Sie hörte sie in der Küche hantieren, gleich darauf erschien sie mit zwei dampfenden Tassen Tee.
»Tim arbeitet hier nie«, begann sie und setzte sich. »Deshalb ist er ins Wohnzimmer gezogen. Ich glaube, er ist nicht gerne alleine.«
»Ja, das stimmt«, sie rechnete die Zahlen noch einmal zusammen, kam aber auf ein anderes Ergebnis als bei der ersten Addition.
»Ich wusste immer, dass du und Viktor nicht zusammenbleibt«, sagte Nina offen.
»Tatsächlich?«, sie tippte die Zahlen noch einmal ganz langsam ein.
»Ja, er will immer das Sagen haben. Wahrscheinlich hat er im Grunde Minderwertigkeitskomplexe«, fügte Nina mit seltenem psychologischen Gespür hinzu.
»Meinst du?«, die Zahlen stimmten schon wieder nicht. Das war doch verhext.
»Hat er getobt, als er erfuhr, dass du nach Irland gehen willst?«
Claire schob die Rechenmaschine zur Seite.
»Er hat es gar nicht erfahren, weil wir uns gestritten hatten. Ich bin dann geflogen, habe ihn aber nicht mehr gesehen. Aber er tauchte nach drei Tagen hier auf und wollte mich zurückholen. Ich habe mich dann endgültig von ihm getrennt.«
»Sei froh, dass es so gekommen ist«, sagte Nina und nippte an ihrem Tee. »Viktor ist so ein gelackter Typ und du bist das nicht.«
Claire dachte an ihr völlig ungeschminktes Gesicht und scherzte: »So, wie ich hier herumlaufe, hätte Viktor mich nicht sehen wollen. Das wäre ihm ein Dorn im Auge gewesen.«
»Dann ist die Trennung endgültig«, stellte Nina befriedigt fest.
»Ja«, bestätigte Claire.
Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn und sah zu den anderen Stühlen hin. Vielleicht hätte sie sie doch machen lassen sollen, überlegte sie. Aber dann nahm sie wieder den Pinsel zur Hand und tunkte ihn in die dicke Flüssigkeit. Diese trug sie vorsichtig auf. Nach zwölf Stunden müsste die Farbe wegzuwischen sein. So stand es in der Gebrauchsanweisung. Dann wollte sie die Stühle und den Tisch neu streichen. Antikgrün nannte sich die Farbe.
Nina hatte ihr natürlich helfen wollen und mit einem Stuhl angefangen. Sie plapperte ununterbrochen, während sie lustlos ein Bein bearbeitete. Dann hörte sie Tims Stimme auf dem Hof und lief kurz zu ihm, um ihm etwas wegen Scabri zu sagen, wie sie Claire noch zurief. Als sie zurückkam, pinselte sie weiter und fragte Claire, wie viele Leute sie für das Hotel einstellen wolle. Aber sie wartete Claires Antwort nicht ab und begann von Samira zu sprechen und davon, was sie wohl erlebt haben mochte. Claire ließ sie reden und hing eigenen Gedanken nach.
Ben hatte nicht mehr von Marisa gesprochen. Vielleicht war das eine ehemalige Freundin, mit der er losen Kontakt hielt. Er war sicher durch seine Arbeit sehr ausgelastet, da blieb für eine Beziehung nicht viel Raum. Wie alt mochte er sein, überlegte sie. Er war älter als sie, sogar als Alex. Alex wusste es sicher. Sie konnte ihn ja einfach einmal fragen.
Sie merkte plötzlich, dass sie alleine war. Nina war wieder verschwunden, der Pinsel lag auf einem Stück Zeitungspapier.
Nach zwei Stunden waren alle Stühle fertig. Sie erhob sich steif und begutachtete ihr Werk. Bis auf einige wenige Stellen, die sie noch
Weitere Kostenlose Bücher