Das Isaac-Quartett

ich bin Dornröschen.« Sie wedelte vor Newgate herum. »Dieser Junge ist verletzt. Euer Mist fehlt ihm gerade noch.«
    Isaac hätte sich diese Krankenschwester gern ausgeliehen; sie hätte ihm Barney Rosenblatt vom Leib halten können. Pimloe war sonderbar ruhig. Normalerweise ebnete er Isaac den Weg, wimmelte Quälgeister ab. Pimloe musste sich verliebt haben. Also besänftigte Isaac die Krankenschwester. »Mrs. Garden«, sagte er. Den Namen konnte man von einem Schildchen auf ihrer gestärkten Brust ablesen. »Es ist völlig richtig, dass Sie sich Sorgen um Stanley Chin machen. Er ist Ihr Patient, und in Ihrer Station sind wir Eindringlinge. Trotzdem glauben wir, dass er alte Frauen zusammenschlägt und Lebensmittelgeschäfte zertrümmert. Ich lasse zwei meiner Beamten hier. Sie werden Stanley nicht anrühren, das verspreche ich Ihnen.«
    Er scheuchte Newgate, Wadsworth und Pimloe aus dem Zimmer. Brodsky stellte er im Korridor auf. »Du tastest jeden ab, der den Jungen besucht. Und wenn es eine ganze Armee von Knirpsen ist. Du musst rausfinden, wer sie sind.«
    »Soll ich bei ihm bleiben?«, fragte Coen, und in seinen Wangen bildeten sich schläfrig schlaffe Linien.
    »Nein, ich will, dass Pimloe hier bleibt … Herbert, du findest heraus, wer für diese Station zuständig ist. Sag ihm, er soll uns diese Weiber vom Hals halten.«
    Newgate entschied sich im Krankenhaus zu bleiben. Pimloe wirkte vergrämt. »Wer fährt dich wieder aus Brooklyn heraus, Isaac? Wadsworth kann unmöglich fahren.«
    »Coen fährt.«
    Brodsky zog verächtlich die Mundwinkel herunter. »Chef, der kann doch Norden und Süden nicht auseinanderhalten. Er fährt dich ins Meer. Mit Coen wirst du ertrinken.«
    »Wadsworth wird mich retten«, sagte Isaac, der es eilig hatte, aus dem Krankenhaus zu verschwinden. Der Chef hatte etwas zu erledigen. Er setzte sich mit Wadsworth und Coen auf den breiten Vordersitz. Wadsworth hielt seine Hände unter den Oberschenkeln, bis sich Manhattan klar abzeichnete. In seiner Vorstellung war Brooklyn eine mickrige Insel. Ihr fehlten die Proportionen einer soliden Welt. In Brooklyn konnte einem der Boden unter den Füßen absinken.
    Coen ließ Isaac an der Essex Street raus. Wadsworth versuchte aus dem Wagen zu springen. Isaac war es zuwider, das Wildleder anzufassen. Mit dem Knie schnitt er Wadsworth den Weg ab. »Du beleidigst meinen Beamten, wenn du nicht sitzen bleibst.«
    Wadsworth schien sich davor zu fürchten, allein neben Blue Eyes zu sitzen. Grelle Farben machten ihn verrückt. Der Albino war der Überzeugung, dass ein blauäugiger Jude nur ein Hexer sein konnte.
     
    Isaac war es nach alten Freunden zumute. Stanley Chin hatte Seward Park in ihm wachgerufen. Der Chef eilte zu Mordecai und Philip. Unterhaltungen auf den Dächern fielen ihm ein, Faustkämpfe wegen Stalin und Trotzki, Schachturniere, bei denen Mordecai der Appetit verging und nach denen Isaac eine Woche lang schielte, denn Philip blendete sie erst mit einer sonderbaren Eröffnung und machte sie dann mit seinen Läufern und Türmen fertig. Isaac hatte Mordecai gern gemocht, sonst nichts. Philip war sein Rivale. Er konnte es im Schach nicht mit ihm aufnehmen, und auch wenn er Trotzkis schönes Gesicht verteidigte, konnte er ihm nicht wehtun. Isaac war immer ein knallharter Stalinist gewesen. Aus Ärger über Philip hatte er das Schachspiel an den Nagel gehängt. Isaac hatte die großen Meister studiert, das wüste Spiel seiner drei Götter absorbiert, Morphy, Steinitz und Alekhine, aber Philip hatte mit seiner ungehobelten Kenntnis des Schachbretts Isaacs gesamte Theorien über den Haufen geworfen; Philip zog nach einer wahnsinnigen, innerlichen Musik, die Isaacs Schachbüchern widersprach. Isaac verfiel ins Grübeln. Seine drei Götter hatten sich besudelt. Morphy, ein junger Amerikaner, einst der scharfsinnigste Spieler der Welt, war in den letzten Lebensjahren in den Voyeurismus abgeglitten; in Frauenkleidung lunzte er durch Schlüssellöcher. Steinitz, ein jüdischer Zwerg aus Prag, ein Mann mit spindeldürren Knien, der das Schachspiel revolutioniert hatte, denn er hatte die Schemata der Eröffnungszüge entdeckt, starb ungeliebt in einem Armengrab auf Ward’s Island. Alekhine, das russische Genie, floh aus seinem Land, um in ganz Europa und Südamerika in einem Zustand ständiger Trunkenheit Schach zu spielen; er hatte Gegnern auf die Hosen gepisst, er hatte Schachuhren überzogen und auf Schachbrettern gekotzt und er war der Champion