Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
Vom Netzwerk:
und geheiligte Narr eines Nazi-Deutschlands geworden.
    Philip war mit vierundzwanzig »blind« geworden; er hatte sein Gefühl für die Figuren verloren, die Deckung seines Königs vernachlässigt, war am Schachbrett unruhig geworden und aus Turnieren ausgeschieden. Philip war Geschäftsmann geworden. Er verkaufte Glühbirnen und Toilettenartikel an Läden in der East Side; er war Ehemann, Vater und Einsiedler geworden. Sein Familienleben unterschied sich nicht sehr von dem Isaacs; beide hatten streunende Kinder, die von zu Hause ausgerissen waren. Philips Sohn war ein hartnäckiges, eigenwilliges Genie von fünfzehn Jahren, das seinen Vater schon mit neun im Schach schlagen konnte. Isaac entschied sich mit Philip zu schwatzen und den Jungen auszufragen; er lechzte nach Neuigkeiten aus der Seward Park High School. Vielleicht konnte ihn der Junge über Stanleys Bande aufklären, und bei Philip würde sich Isaac auch über seine vermisste Tochter, über Marilyn the Wild, ausweinen können.
    Ein Streifenbulle erkannte Isaac vor dem Gebäude, in dem Philip wohnte. Der Bulle lahmte leicht, und die Uniform schien ihm nicht zu passen. »Hallo, Boss«, rief er. »Wenn Sie hinter den Lollipops her sind, können Sie es gleich woanders versuchen. Ich kontrolliere dieses Haus. Mit mir lassen sich diese Banditen nicht ein.«
    »Ich mache einen Privatbesuch«, murmelte Isaac. »Ich besuche Philip Weil.«
    Er fuhr zu Philips Tür hinauf. Die Klingel funktionierte nicht und er musste klopfen, bis seine Faust taub wurde. »Ich bin’s, Philip Isaac.« Die Tür wurde ihm geöffnet. Um reinzukommen, musste er sich um Philips Rücken winden. »Mordecai sagt, du hättest nach mir gefragt … Philip, was ist denn los?«
    Isaac konnte mit Mordecai umspringen, konnte Mordecais Tochter aus der Müllhalde eines Zuhälters ziehen, aber an Philip kam er nicht ran. Philip hatte keine Stoppeln auf den Backen, auch nicht die Symptome eines verfallenen Schachmeisters. Er trug ein makelloses Hemd mit Knöpfen aus Elefantenknochen und einem Kragen, der mit Metallstäbchen verstärkt war. Isaac konnte nichts an den Bügelfalten in Philips Hose und an dem ordentlichen Fall der Manschetten aussetzen. Philip war ein Stubenhocker, der sich todschick anzog. Er hatte seine Knabenhaftigkeit bewahrt. Er hatte nicht langsam Fett angesetzt wie Mordecai oder sich mit festem Fleisch umgeben wie Isaac. Seine beharrliche Liebe zu Trotzki und seine Schachmanie mussten ihn vor den gewöhnlichsten Verheerungen beschützt haben. Philip lebte in einem geschlossenen Etui.
    Er machte Kaffee für beide, an dem sich Isaac beinah die Zunge verbrannte. Isaac konnte nicht glauben, dass jemand freiwillig derart bitteres Zeug trank. Er träumte von Cappuccinos im Garibaldi-Club. »Wo fehlt’s, Philip? Hast du Probleme? Ich hätte früher kommen sollen … Drei kleine Schurken haben meine Mutter angegriffen und das hat mich ziemlich beschäftigt.«
    Philips Kragen geriet in Aufruhr, eine leichte Zuckung, die von einem Knochen hinter dem Ohr ausgegangen sein könnte. »Wir haben Glück gehabt«, sagte Isaac mit einem Blick auf den turbulenten Kragen. »Ich glaube, einen haben wir erwischt. Einen Chinesen. Stell dir das vor, Philip, er geht in die Seward Park High School.«
    »Ich weiß. Er heißt Stanley Chin.«
    Philip drückte seinen Kragen mit dem Daumen runter. Isaacs Blick wurde niederträchtig. »Woher weißt du das? Bist du heute morgen aus Corona gekommen, Philip? Hast du was mit St. Bartholomew zu tun? Bist du durch alle Stationen gelaufen?«
    »Nein. Rupert gehört zur Bande. Er ist ihr Anführer.«
    Ein Schauder rieselte über Isaacs Kiefer und legte seinen Hals in dunkle Falten. Philips Sohn war ein Lollipop. Isaac packte Philip an den Hemdenknöpfen. »Du verfluchter Scheißkerl, hat Mordecai mich deshalb auf dich angesetzt?« Die Knöpfe lösten sich von Philip und Isaac quetschte Elefantenknochen in seiner Faust. »Philip, wenn meine Mutter stirbt, sorge ich dafür, dass du für den Rest deines Lebens Ohrenschmerzen hast. Ich werde dich zum Krüppel machen. Mit Bauern in den Augen wird man dich begraben. Dann kannst du Schach spielen, solange sich die Erde dreht.«
    Philip bebte nicht unter Isaacs heftigem Atem. »Isaac, ich konnte es dir nicht direkt sagen … Ich war gelähmt. Ich hatte gehofft, du würdest zu mir kommen. Ich dachte, das sei ein momentan verbreiteter Spleen, etwas, was schnell vorbeigeht. Über Ladendiebstahl in der Nachbarschaft. Als ich gehört

Weitere Kostenlose Bücher