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Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
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der anderen Straßenseite. Wadsworth hatte keine Dienstabzeichen, die er dem Krankenhauspersonal zeigen konnte. Er lief hinter Isaac her; in dem blauen Wildleder bildeten sich lange, gekniffte Linien. Zu sechst drangen sie in die Station ein. Isaac sah sich nach einem Jungen um, dessen Hände und Füße in die Luft gespannt waren. Die Suche war unnütz. Sie erwischten einen alten Mann, der hinter einem Wandschirm pisste. Der Mann warf mit einer Pillenflasche nach Isaac; sie traf Newgate über dem einen Auge. Isaac schob den Wandschirm zurück.
    Wadsworth führte ihn zu einem Jungen mit Gipsmanschetten an Händen und Füßen: Keiner der Verbände reichte über die Handgelenke oder die Knöchel. Der Junge war Chinese.
    Coen brauchte ihn gar nicht erst lange anzuschauen; das war der Junge, der ihm in dem jüdischen Jugendzentrum in den Brustkorb gesprungen war. Er konnte sich nicht entscheiden, was er Isaac erzählen sollte. Der Chef brauchte Coens Ansporn nicht. Er sah sich die Karte mit den persönlichen Daten an, die an das Bett geheftet waren: Stanley Chin hatte keine Adresse; sein Alter war mit sechzehneinhalb angegeben. Die Gleichmäßigkeit der Gipsverbände verwirrte Isaac. Für ihn stand nicht fest, dass dies Amerigos Arbeit war. Die Schläger, die Amerigo engagierte, hätten sich nicht darauf beschränkt, Finger und Zehen zu brechen. Solche Finesse lag ihnen fern. Der Junge hätte ausgekugelte Ellbogen oder ein gebrochenes Knie haben müssen.
    Isaac trat neben das Bett. Seine Stimme war nicht grob. »Stanley Chin, kennst du mich?«
    Der Junge sagte nichts; er betrachtete Coen und den Albino in Blau. Der Chef lehnte sich an die hohen Gitterstäbe des Betts. »Ich bin Isaac Sidel.«
    Der Junge stieß die Luft durch die Nase aus und biss sich auf die Unterlippe. Ob ich seinen Vater erledigt habe, fragte sich Isaac, oder habe ich seiner Familie furchtbar zugesetzt? Er konnte sich nicht erinnern, in den letzten fünf oder zehn Jahren einen Chinesen festgenommen zu haben.
    »Warum ist Amerigo Genussa hinter dir her?«, kreischte Newgate auf den Jungen ein. Isaac schickte ihn zu den anderen zurück. Er versprach Newgate, ihm die Fresse einzuschlagen, wenn er sich noch einmal einmischen sollte.
    »Sag mal, Stanley, wo gehst du zur Schule? In Brooklyn? In Queens? In der Bronx?«
    Wadsworth flüsterte Isaac ins Ohr: »Er geht in die Seward Park High School. So viel hat mein Onkel aus ihm rausgeholt.« Dann stellte er sich hinter Coen. Wadsworth machte das Krankenhaus nervös. Von den Wänden ging ein weißes Leuchten aus. Ohne das Surren eines Filmprojektors war er nicht funktionsfähig. Er war süchtig auf Technicolor und staubige Luft im Gesicht. Er würde Isaac bitten müssen, ihn möglichst schnell nach Hause zu verfrachten.
    Isaac spürte das Kribbeln unter dem Wildleder, aber er konnte Wadsworth nicht erlösen, ehe er aus dem Chinesenjungen herausgeholt hatte, was er wissen wollte.
    »Ich war auch in der Seward Park High School, Stanley. Wusstest du das? 1946 bin ich abgegangen. Ungelogen. Vor ein paar Monaten habe ich in der Schule eine Rede gehalten. Erinnerst du dich daran?«
    Der Junge reagierte nicht auf Isaac; er rieb sich die Gipsfüße aneinander und musterte mit forschendem Blick Wadsworths rosa Augen und sein farbloses Haar. Der Albino hatte ihn verhext. Brodsky packte Isaac am Handgelenk. »Den Typ bringst du niemals dazu, aus der Schule zu plaudern, Chef. Sag mir, dass ich ihm auf die Finger treten soll, oder lass Manfred ihn auf den Mund küssen.«
    Isaac kam nicht dazu, Brodsky auszuschelten. Die Oberschwester, eine gewaltige schwarze Frau mit einem Pfund Stärke im Zwerchfell und den Manschetten fiel über die sechs Männer her. »Was zum Teufel soll das heißen? Ohne meine Genehmigung hier einfach hereinzuplatzen?«
    Brodsky antwortete ihr. »Gnädigste, das ist Inspektor Sidel, Kommissar des First Deputy. Er geht, wohin er will.«
    »Nicht in diesem Krankenhaus, Dicker.« Sie wandte sich an Wadsworth. »Wer zum Teufel sind Sie?«
    Die Stärke stach mit Widerhaken in Wadsworths Augen und brachte ihn aus der Fassung. Er quetschte sich zwischen Brodsky und den FBI-Mann. Newgate fischte einen Ausweis aus der Tasche. »Ich komme vom FBI, Madam.«
    »Heiliger Jesus«, sagte sie. »Wie seid ihr Irren durch die Tür gekommen?«
    Newgates Irokesenblut bleichte seine Nase rot. »Sie können meine Aussage überprüfen, Schwester. Ich bin Amos Newgate vom Büro Manhattan.«
    »Gewiss«, sagte die Frau. »Und

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