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Das ist nicht wahr, oder?

Das ist nicht wahr, oder?

Titel: Das ist nicht wahr, oder? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Lawson
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meines Autos (ich gab einer nichtexistierenden Bande von Rowdys die Schuld daran, die, wie ich auch potenziellen Käufern erzählt hatte, nachts die Straßen unsicher machten und entlaufene Haustiere einfingen, um sie zu essen) und steckte es wieder in den Rasen vor dem Haus. Zwei Stunden später klingelte es und Victor verkaufte das Haus an einen Mann, der nur zufällig vorbeigekommen war. Der Mann wollte das Haus seiner Tochter und seinem Schwiegersohnschenken und begann sofort den Rasen vor dem Haus zu vermessen, weil er dort zur »Aufwertung der Frontansicht« einen hölzernen Wunschbrunnen installieren wollte. Unser Haus tat mir fast genauso leid wie ich.
    Nach einigen Monaten in Houston gelangte ich zu der Erkenntnis, dass Houston gar nicht so anders war, mal abgesehen von der höheren Verkehrsdichte und den selteneren Überraschungsbesuchen meiner Eltern mit toten Tieren im Auto. Zu meiner Überraschung verstärkte beides mein Heimweh ganz besonders. Victor versuchte mir das Ganze als Abenteuer mit Sushi, Museen, Kultur und Cafés schmackhaft zu machen und ich biss (genau wie in Wall) die Zähne zusammen und fand mich damit ab, überzeugt, dass wir Houston bald wieder verlassen und nach West-Texas zurückkehren würden. Und so vergingen, ebenfalls wie damals, die nächsten zehn Jahre.
    West-Texas war bei jedem Besuch ein wenig verändert. Die Baumwollfelder wichen Bauland, die Traktoren wurden größer und neuer. Bei einer Fahrt durch unseren alten Ort stellte ich fest, dass die Eisdiele, in der ich gearbeitet hatte, durch einen Parkplatz ersetzt worden war. Die Eislaufhalle war geschlossen und verlassen, das Schild voller leerer Vogelnester. Der Buchladen, in dem ich Victor kennengelernt hatte, war verschwunden, das Haus meiner Großeltern wurde kurze Zeit nach ihrem Tod verkauft. Die kleine Werkstatt meines Vaters wuchs jährlich, bis daraus ein richtiges Unternehmen wurde inklusive eines belebten Parkplatzes neben dem Haus meiner Eltern. Bei einem anderen Heimatbesuch musste ich zu meinen Schrecken feststellen, dass aus der Grundschule, in die ich täglich gegangen war, eine alternative Schule für schwangere Teenager geworden war. Der Schulspielplatz, der im Sommer praktisch mein Zuhause gewesen war, war vollständig abgebaut worden. Zusammen mit meiner Schwester ging ich durch die Überreste undnahm ein kleines Steinchen als Andenken mit. Wenn ich heute an der Schule vorbeikomme, sehe ich weg und denke stattdessen an die Schule von früher mit ihren gefährlichen Wippen und Karussells aus Metall, die nach und nach aus ganz Amerika verschwunden sind. Heute sind davon nur noch die Erinnerungen in meinen Kopf übrig. Ich höre dann das rostige und zugleich beruhigende Quietschen meiner Lieblingsschaukel, die unablässig hin und her schwingt.
    Als wir mehrere Jahre nach unserem Umzug nach Houston einmal einen Wochenendbesuch bei meinen Eltern machten, verkündete meine Mutter stolz, es gäbe in San Angelo ein neues Kaffeehaus, das in aller Munde wäre. Wir fuhren hin und ich erwartete etwas im rustikalen Cowboystil, aber stattdessen stand da an der Ecke ein großmächtiges Starbucks, neben dem die anderen Läden, die sich seit meiner Kindheit nicht verändert hatten, fehl am Platz wirkten.
    »Gott sei Dank«, meinte Victor. »Endlich hat die Zivilisation auch den Westen von Texas erreicht!«
    Das beschäftigte mich. Nicht dass Victor Latte Macchiato Decaf to go mit Zivilisation gleichsetzte, sondern dass hier offenbar etwas endgültig zu Ende gegangen war, dass es die kleine Stadt, in die ich immer hatte zurückkehren wollen, nicht mehr gab, wenigstens nicht mehr so wie früher.
    Später am Abend saß ich draußen auf der Veranda und betrachtete dieselben Sterne wie damals mit zehn, als ich in Länder hatte reisen wollen, die nur in meiner Einbildung existierten. Länder wie Ägypten oder Frankreich, aber so, wie sie in der Fantasie eines Kindes aussehen, verschwommene Visionen mit perfekten Pyramiden, warmem Sand, Eiffeltürmen und einem »Wein« genannten Getränk, Visionen, die es in der Wirklichkeit nicht gab. Ich fand erst viel später heraus, dass die romantisch klingenden Gegenden auf der Landkarte mehr alsnur schöne Bilder waren, dass dazu auch Dinge gehörten, die ich mir als Kind gar nicht hätte vorstellen können. Dinge wie politische Unruhen, Ruhr und Katzenjammer.
    An diesem Abend blickte ich zu denselben Sternen hinauf, aber ich hatte ganz andere Wünsche. Ich wollte nicht nach Ägypten oder

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