Das ist nicht wahr, oder?
Beruhigungsmittel aus, damit ich meine Angst wenigstens einigermaßen unter Kontrolle habe, und ich kann diese Unkosten nicht einmal von der Steuer absetzen. Andererseits ist es das für mich wert, weil ich lieber mithilfe von Medikamenten halbwegszurechnungsfähig wirke, als von den anderen Gästen einer Dinnerparty angestarrt zu werden wie ein unerwünschter Eisbär.
Der letzte Satz ist wieder so ein Beispiel. Ein normaler, vernünftiger Mensch hätte geschrieben »wie ein unerwünschter
Gast«,
aber nicht ich. Ich wollte »unerwünschter Gast« schreiben, aber dann sagte mein Gehirn: »Moment mal, was ist
noch
unerwünschter als ein unerwünschter Gast?
Ein beschissener Eisbär.«
Daraufhin meldet sich die normale, gute Seite in meinem Kopf zu Wort, die immer ein wenig langsamer ist, und sagt: »Halt, das kapiert doch niemand. Schreib einfach ›Gast‹.« Darauf die schlechte Seite empört: »Ach ja? Also für mich klingt das total einleuchtend. Wenn ein unerwünschter Gast auf deiner Party auftaucht, kann dir schlimmstenfalls passieren, dass die Chips schneller ausgehen. Wenn ein Eisbär auftaucht, gibt es ein blutiges Gemetzel. Eisbären sind absolut nirgends erwünscht.« Und dann lächelt die gute Seite herablassend und sagt mit einem Seufzer: »Diese Logik versteht doch niemand, Blödmann. Und an einigen Orten sind Eisbären eben doch erwünscht, zum Beispiel in Zoos. Und in der Cola-Werbung.« Aber die schlechte Seite in meinem Kopf will davon nichts hören und schreit: »Der Käfig im Zoo dient dazu, sie von uns fernzuhalten. Weil sie eben unerwünscht sind.« Darauf die gute Seite: »Also wenn du Eisbären so furchtbar findest, warum sind wir dann Samstag in den Zoo gegangen?« Schlechte Seite: »Weil du mir dafür einen blasen wolltest, du blöde Tussi.« Und darauf schnauft die gute Seite nur heftig, als könnte sie nicht fassen, dass die schlechte Seite das jetzt gesagt hat, weil sie das doch bitteschön für sich behalten sollte, und die gute Seite wird ganz missvergnügt und moralisch, und vielleicht sollten wir es dabei belassen, weil das klingt alles unappetitlich und warum erinnert es eigentlich so fatal an häusliche Gewalt? Und wie kann die schlechte Seite in meinem Kopf sich überhaupt einenblasen lassen? Ist sie männlich? Das ist alles so verwirrend und irgendwie sexistisch. Also wenn ich hier jemanden beeindrucken wollte, hätte ich den ganzen Absatz gestrichen und »Eisbär« einfach durch »unerwünschten Gast« ersetzt, aber ich lasse alles stehen, weil ich zu faul zum Streichen bin. Und auch um eine unangenehme Wahrheit aufzuzeigen, wie schwer es nämlich ist, mit einer psychischen Krankheit zu leben. Aber vor allem aus dem ersten Grund. Und eigentlich geht es in meinem Kopf die ganze Zeit so zu wie in diesem Absatz.
Tja …
Herrscht schon ein ziemliches Durcheinander hier drinnen.
Aber ich danke Gott, dass ich in meinem Kopf überhaupt eine gute Seite
habe,
weil ich einmal einen Nachbarn hatte, der durch einen Autounfall irgendwie seine Hemmungen verlor und mir immer die merkwürdigsten Dinge zurief, wenn ich die Post vom Briefkasten holte. Dinge wie »Hi, schöne Lady! Dein Hintern wird immer dicker!« oder »Deinen Arsch würde ich mir trotzdem gern mal vornehmen!« Ich zwang mich dann nur zu einem Lächeln und winkte ihm zu, weil, gut, das ist natürlich eine Beleidigung, aber er hatte sie doch sicher als Kompliment gemeint. Ich meine, der Typ hatte nicht mal eine gute Seite, die solche Gedanken für ihn herausgefiltert hätte, es wäre also ein wenig egoistisch von mir, nicht froh über meine gute Seite zu sein, auch wenn sie nicht richtig funktioniert und immer erst merkt, was ich Bescheuertes sage, wenn ich es schon gesagt habe. Es ist, als hätte ich eine Zensorin im Kopf, die mit einer Verzögerung von sieben Sekunden arbeitet … die es zwar gut meint, aber immer zu spät kommt, um die ganze Scheiße noch verhindern zu können.
In gewisser Weise ist es ja ein Geschenk, wenn man seine Fehler erkennt, aber im wirklichen Leben höre ich mich bereits grässliche Dinge sagen und dann erst schreit der Teil von mir, der erkennt, was ich gerade wieder Unpassendes gesagt habe:»Halt, man unterhält sich mit einem Geistlichen doch nicht über Vibratoren!« Das viele Geschrei in meinem Kopf bringt mich dann ganz durcheinander und ich drehe durch und schon kommt wieder meine Kreditkartennummer. Oder ich platze mit etwas anderem heraus, um das peinliche Schweigen zu füllen, aber aus
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