Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das ist nicht wahr, oder?

Das ist nicht wahr, oder?

Titel: Das ist nicht wahr, oder? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Lawson
Vom Netzwerk:
kein Wort heraus oder ich rede ununterbrochen über etwas, über das man mit Fremden in einem Lebensmittelladen eigentlich überhaupt nicht reden sollte. Ich habe mir deswegen lange Vorwürfe gemacht, weil ich meinte, ich könnte das mit ein wenig Willenskraft unter Kontrolle bringen, aber mit über zwanzig bekam ich dann ausgewachsene Panikattacken und ging schließlich zum Arzt, der ein allgemeine Angststörung diagnostizierte.
    Meiner Erfahrung nach meinen die Leute immer, eine
allgemeine
Angststörung wäre der
sozialen
Angststörung vorzuziehen, weil sie vager und weniger bedrohlich klingt, aber diese Leute irren sich total. Für mich ist die allgemeine Angststörung so, als hätte ich alle Angststörungen zu einer zusammengemanscht, auch die, die von der modernen Wissenschaft nicht anerkannt werden. Wie die
Vögel-werden-mich-wahrscheinlich-im-Schlaf-ersticken-Störung
und die
Ich-habe-immer-Cracker-in-meiner-Tasche-falls-ich-im-Aufzug-stecken-bleibe-Störung.
Grundsätzlich habe ich ganz allgemein Angst vor überhaupt allem. Vermutlich heißt die allgemeine Angststörung deshalb so.
    Meine Psychologin war bei der Diagnose der Angststörung extrem diskret, so diskret, dass mir erst einige Besuche später überhaupt klar wurde, dass ich eine hatte. Sie quasselte etwas von einer Patientin, die für mich ein klarer Fall für die Klapsmühle war. Ich hörte ihren Ausführungen nur mit halbem Ohr zu, weil ich die ganze Zeit überlegte, ob sie es wohl als Rückschritt in meiner Therapie betrachten würde, wenn ich mich während unserer Sitzungen unter dem Sofa versteckte. Dann begriff ich plötzlich, dass die Bekloppte, von der sie sprach, ich war. Vermutlich wollte sie mein Leiden nicht gleich benennen aus Furcht, ich könnte mich schämen, eine richtige psychische Störung zu haben. Aber ich war nur erleichtert, ehrlich. Meine Unfähigkeit zu einem normalen Gespräch war damit nicht mehr einfach nur eine Marotte, sondern klassifiziert als »entsetzliche, unheilbare medizinische Behinderung, die sowohl für die Betroffene wie die Menschen ihrer Umgebung mit furchtbaren Leiden verbunden ist«. Die Formulierung stammt von mir. Meine Psychologin spricht von einer »kleineren Störung, die leicht medikamentös behandelt werden kann«. Wenn sie sich allerdings je bei einer Dinnerparty mit mir unterhalten müsste, würde sie sich vermutlich meiner Definition anschließen.
    Bei Dinnerpartys und anderen geselligen Ereignissen begrüße ich meist die Gastgeberin und verstecke mich dann auf der Toilette, bis die Party vorbei ist. Gewöhnlich ist es so für alle Beteiligten am besten. Ich habe früher Bücher über Leute gelesen, die geborene Gesellschafter waren, und mich regelmäßig gefragt, warum ich nicht genauso selbstsicher und charmant auftreten und humorvolle Anekdoten über meine Zeit mit Jacques Cousteau erzählen konnte. Aber ich wäre leider wohl selbst dann ein schlechter Gesprächspartner, wenn ich Jacques Cousteau tatsächlich kennengelernt hätte. Auf Partys nicke ich meist nur jeden Blödsinn ab, den jemand erzählt, und gerate in Panik, wenn die betreffende Person mich anschließend fragt, was ich von ihren Ausführungen halte, denen ich nicht zugehört habe. Ich fasle dann irgendetwas von damals, als ich versehentlich eine Nadel geschluckt habe. Anschließend erkläre ich, dass es sich wahrscheinlich gar nicht um eine Nadel gehandelt hat, dass ich das aber damals geglaubt habe, und das Schweigen wird lauter und lauter und ich rede immer weiter davon, wie schrecklich es ist, nicht zu wissen, ob man nun eine Nadel verschluckt hat oder nicht. Und dann merke ich, dass es im Zimmer ganz still geworden ist und nur noch zu hören ist, wie ich mit fast schon hysterischer Stimme zum Ende einer Geschichte zu kommen versuche, die überhaupt keines hat. Schließlich zwinge ich mich physisch, mit dem Reden aufzuhören, und nach einigen weiteren, megapeinlichen Sekunden des Schweigens wechselt dann ein gnädiger Mensch das Thema und ich schleiche mich ins Bad und verstecke mich dort bis zum Ende der Veranstaltung. Im besten Fall.
    Bei mehr als einer Gelegenheit war mein haltloses Gefasel so entsetzlich, dass die anderen mich nur sprachlos anstarrten und ihr Schweigen mit Händen zu greifen war, bis ich vor lauter Verzweiflung noch mit meiner Kreditkartennummerherausplatzte und mich dann auf die Toilette flüchtete. Ich tat das, weil ich hoffte, wenn ich irgendwelche Zahlen durch die Gegend brüllte, würden meine

Weitere Kostenlose Bücher