Das ist nicht wahr, oder?
entgeisterten Zuhörer mich für eins dieser exzentrischen Mathegenies halten, die einfach so genial sind, dass niemand sie versteht, und auch, weil ich mich irgendwie schuldig fühlte, dass sie meiner Geschichte von der verschluckten Nadel hatten zuhören müssen, und wenn sie mir die verschwendete Zeit in Rechnung stellen wollten, dann hatten sie jetzt diese Option. Nur dass ich mir Zahlen partout nicht merken kann, nicht einmal meine Kreditkartennummer, und stattdessen irgendeine willkürliche Zahlenkombination erfinde. Kurz gesagt, irgendwelche Fremden zahlen dann für meine Defizite, weil ich ein so schlechtes Gedächtnis habe.
Und
weil ich mich nicht unterhalten kann wie ein normaler Mensch.
Und
weil Kreditkartenbetrug so lukrativ ist. Im Grunde sind wir bei dieser Sache also alle die Verlierer.
Die Leute, mit denen ich nur per E-Mail und SMS kommuniziere, sind jetzt wahrscheinlich verwirrt, denn ich komme in meinen E-Mails halbwegs geistreich und verständlich rüber, weil ich, bevor ich auf »Senden« drücke, Zeit habe zu überlegen, was ein normaler, geistig gefestigter Erwachsener schreiben würde. Deshalb unterhalte ich mich mit anderen am liebsten auf elektronischem Weg. Ich schreibe also eine E-Mail und überlege anschließend, ob normale Menschen auch schreiben würden, Lincoln wäre daran gestorben, dass so viele Menschen ihre ungewaschenen Finger in seine Schusswunde gesteckt hätten. Ich komme dann zu dem Schluss, dass sie es nicht tun würden, und streiche auch noch das mit den Vegetariern, die eine menschliche Plazenta essen dürfen, weil dafür kein Tier sterben muss, und am Schluss bleibt nur eine knappe Nachricht übrig, in der steht: »Herzlichen Glückwunsch zur Geburt deines Kindes!« Das klingt zwar furchtbar nichtssagend, aber ich habees schon so oft total normale Leute sagen hören, dass es nicht falsch sein kann.
Viele halten das für eine komische Übertreibung, aber eigentlich nur die, die selber keine Angststörung haben. Die anderen nicken zustimmend, weil auch sie diese ziemlich beschissene Störung haben, wegen der sich eine E-Mail-Unterhaltung, die eigentlich nur wenige Minuten dauern sollte, aufgrund ständiger Überarbeitungen über Stunden hinzieht.
Als Beispiel für diesen Aufwand hier die Rekonstruktion eines ganz einfachen E-Mail-Gesprächs, das ich heute Morgen mit meiner Kollegin Jon hatte:
Jon: Ich wollte euch nur Bescheid geben, dass ich heute nicht zur Arbeit komme, weil wir unseren geliebten Hund einschläfern lassen müssen.
ICH Ich habe einen Hoden. In einem Glas. Also ich meine, von einem Hund. Nicht von mir selber. Das wäre ja schon ungewöhnlich. Für eine Frau. Für einen Kerl wahrscheinlich auch. Ich will damit nur sagen, dass man meinem Hund wegen Krebs einen Hoden entfernen musste und ich den aufheben wollte, weil ich das bei meinen Mandeln versäumt habe, als ich sie rausbekam, und weil ich damals dachte: »Dann eben das nächste Mal, okay?« Und ich bin gottfroh, dass ich es getan habe, denn zwei Wochen später läuft mein Hund weg und jetzt habe ich nur noch den Hoden als Erinnerung.
ICH Herzliches Beileid, Jon! Das erinnert mich daran, was meine Großmutter einmal gesagt hat: »Ein Haustier zu verlieren ist wie einen Angehörigen zu verlieren.« Nur dass es lange nicht so teuer ist, weil man es nichteinbalsamieren muss, und man braucht auch keine Urne zu kaufen, sondern kann es einfach im Garten begraben.
ICH Penis.
ICH Ich bin in Gedanken heute bei dir, Jon. Im Anhang der Text »Rainbow Bridge« von der Haustiergedenkseite im Internet und ein kurzes Gedicht von Maya Angelou.
Jon: Genau das habe ich gebraucht. Woher wusstest du es?
ICH Ich weiß, wie schwer es sein kann, jemanden gehen zu lassen. Ich kann den Hoden meines Hundes immer noch nicht wegwerfen, Jon, obwohl das jetzt schon ewig her ist. Ich weiß ja nicht einmal sicher, ob er tot ist. Vielleicht ist er nur weggelaufen, weil er mich nicht leiden konnte. Oder er hatte Angst, ich könnte ihm auch noch den anderen Hoden wegnehmen. Oder vielleicht war er einfach nur ein Arschloch. Das sind manche Hunde eben auch.
ICH Ich weiß, wie schwer es ist, Abschied zu nehmen.
Kurz gesagt?
Es ist anstrengend, ich zu sein.
Zu tun, als wäre man normal, ist Stress pur und erfordert ungeheure Mengen an Kraft und Xanax. Wahrscheinlich sollte ich mich von den Normalos dafür bezahlen lassen, dass ich nicht zu ihren Veranstaltungen gehe und sie ruiniere. Schließlich gebe ich ziemlich viel Geld für
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