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Das ist nicht wahr, oder?

Das ist nicht wahr, oder?

Titel: Das ist nicht wahr, oder? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Lawson
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irgendeinem Grund denkt der Teil meines Kopfes ohne Filter nur an Nekrophilie, und der Teil meines Kopfes, der erkennt, dass Nekrophilie nie ein gutes Gesprächsthema ist, brüllt »Nekrophilie ist schlecht«, und schon kriege ich wieder Panik und höre mich losplappern, warum Nekrophilie schlecht ist, und der noch halbwegs gesunde Teil in mir schüttelt nur den Kopf, während meine Gesprächspartner krampfhaft überlegen, was man mit einer Frau tun soll, die auf einer Cocktailparty von Nekrophilie anfängt. Sie tun mir leid. Nicht nur, weil sie ein solches Desaster miterleben müssen, sondern weil man schlecht bestreiten kann, dass Nekrophilie schlecht ist.
Eben.
Und wenn man dann das Thema wechseln will, wirkt das nur, als wäre man ein heimlicher Anhänger der Nekrophilie, wollte das aber nicht vor den anderen zugeben. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum sich meine Zuhörer, wenn ich auf Dinnerpartys etwas sage, nach und nach abwenden und anderen Gesprächen anschließen, bis ich zuletzt nur noch mit mir selber rede. Was der absolute Wahnsinn ist. Denn wenn etwas noch schlimmer ist als eine Frau, die sich auf einer Cocktailparty mit wildfremden Menschen über Sex mit Toten unterhält, dann eine Frau, die auf einer Party über genau dasselbe Thema mit sich selbst spricht.
    Wenn ich auf der Straße eine zerlumpte Pennerin sehe, die herumschimpft, kriminelle Bären wollten die Herrschaft über die Stadt an sich reißen, vermute ich sofort, dass diese Frau vor Jahren auf einer Dinnerparty über dieses Thema gesprochen hat und dass sie vor lauter Schreck über ihre eigeneVision einen Nervenzusammenbruch hatte, worauf ihre Zuhörer sich dann abwandten. Und jetzt, Jahre später, versucht dieselbe Pennerin immer noch, das Gespräch von damals einigermaßen würdig zu Ende zu bringen, scheitert aber kläglich. Deshalb gebe ich Obdachlosen immer einen Dollar und etwas Xanax. Weil ich genau weiß, was sie durchmachen. Außerdem nicke ich gewöhnlich und mache eine Bemerkung wie: »Das ist ja eine interessante Theorie, aber ich bin mir nicht sicher, ob Bären mit ihren kognitiven Fähigkeiten wirklich einer so komplexen Aufgabe gewachsen sind.« Aber die Person, mit der ich rede, starrt meist nur an mir vorbei auf das entsetzte Publikum von damals, das nur noch in ihrem Kopf existiert. Mein Mann zieht mich dann weiter und hält mir einen Vortrag darüber, wie gefährlich es ist, Obdachlose zu provozieren. Er sieht nicht, was ich sehe: das verzweifelte Gesicht eines Menschen, der über einer Dinnerparty wahnsinnig geworden ist.
    Man möchte meinen, Victor hätte mehr Verständnis, weil er doch weiß, was für eine emotionale Wüste ich hinterlasse, wenn man mich zwingt, an gesellschaftlichen Anlässen teilzunehmen, aber er hat erst kürzlich meine Fähigkeit, unser beider Ruf auf einer einzigen Dinnerparty zu ruinieren, als Übertreibung meinerseits abgetan. Ich kann nur vermuten, warum er meiner sozialen Dysfunktion so wenig Bedeutung beimaß: Entweder meine Panikattacken waren so heftig, dass meine soziale Inkompetenz vergleichsweise harmlos erschien, oder er hat nicht richtig aufgepasst.
    Fairerweise sei gesagt, dass meine Panikattacken auf andere sehr viel schlimmer wirken und ich die ganz heftigen glücklicherweise nur ein paar Mal im Jahr habe. Im einen Moment geht es mir noch prächtig, im nächsten wird mir plötzlich übel und dann kriege ich Panik. Ich kann dann nicht mehr an mich halten und weiß, ich verliere gleich die Beherrschung,und dann will ich nur noch fliehen, allerdings vor der einzigen Person, vor der ich nicht fliehen kann … vor mir selbst. Und das passiert unweigerlich in einem überfüllten Restaurant oder auf einer Party oder in einem anderen Bundesstaat, Meilen von jeder Art von Zuflucht entfernt.
    Ich merke, wie die Panik in mir aufsteigt wie ein in meiner Brust eingesperrter Löwe, der sich durch meinen Hals nach draußen kämpft. Ich will ihn zurückhalten, aber die anderen Gäste spüren, dass sich etwas verändert hat, und werfen mir verstohlen besorgte Blicke zu.
Ich falle auf.
Ich will unter den Tisch kriechen und mich dort verstecken, bis alles vorbei ist, aber das geht auf einer Dinnerparty nicht. Mir wird schwindlig und ich fürchte, dass ich gleich ohnmächtig oder hysterisch werde. Das Schlimmste ist, dass ich nie weiß, wie der Anfall diesmal verläuft. »Mir ist nicht gut«, murmle ich, an meine Tischnachbarn gewandt. Mehr bringe ich nicht heraus, ohne zu hyperventilieren.

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