Das ist nicht wahr, oder?
HATTE.
Gleichzeitig begriff ich, dass mir das niemand glauben würde und auch dass Victor auf jeden Fall ins Gefängnis kommen würde, weil
wer wird schon von einem Hühnchen durchbohrt?
Offenbar ich. Ich hatte eins dieser Leckerli aus getrockneter Hühnerbrust in der Handgehalten, um sie Barnaby Jones zu füttern, und dieses Leckerli war ein wenig ziemlich
wahnsinnig
spitz, sodass man sich bei genügend Kraftaufwendung durchaus damit stechen konnte. So unglaublich es klingt, aber so was kann jedem passieren, der auf ein spitzes Stück Geflügel fällt. Nur dass bei näherem Nachdenken ich wahrscheinlich die einzige Person auf der Welt bin, der es tatsächlich passiert ist. Also gewinne ich. Oder verliere. Oder beides.
Ich erklärte Victor, dass mich nur ein Hühnchen durchbohrt hätte, worauf er gleich wieder die Sanitäter rufen wollte, weil er meinte, ich hätte eine Gehirnerschütterung. Ich seufzte, zog an seinem Hosenbein, um ihn auf mich aufmerksam zu machen, packte mit der unverletzten Hand das spitze Geflügelteil und führte mit einer stechenden Bewegung vor, was passiert war. Victor starrte mich entgeistert an und legte auf, weil er endlich kapierte oder vielleicht auch weil er glaubte, ich wollte ihn erstechen. Er sagte dann noch, er hätte sowieso nicht gewusst, was er den Sanitätern hätte sagen sollen. »Niemand glaubt doch, dass ein so braver Hund gewalttätig wird.« Er klang so richtig abfällig und gemein, und wahrscheinlich habe ich deshalb aus Protest geschrien: »DU WEISST JA GAR NICHT, WIE ER IST, WENN DU NICHT DA BIST.« Daraufhin nahm Victor Barnaby Jones auf den Arm, sagte zu ihm: »Hör nicht auf Mommys Geschrei, Mr Jones«, und trug ihn zum Bett, um gemeinsam mit ihm die Dokumentarsendung
Mythbusters – Die Wissensjäger
anzusehen. Kann sein, dass ich vom Boden aus gekreischt habe: »Er hätte mich die Treppe runtergestoßen, wenn wir eine hätten.« Vielleicht habe ich auch noch angedeutet, dass Barnaby Jones uns jetzt, wo ermenschliches Blut gekostet und auf den Geschmack gekommen war, wahrscheinlich die Kehle durchbeißen würde, wenn wir schliefen. Victor brüllte jedenfalls zurück, Barnaby Jones könnte wegen meines Geschreis den Fernseher nicht hören und er unterhalte sich nicht mit jemandem, der auf dem Fußboden lag und überreagierte. Ich erklärte, »Überreaktion« wäre typisch für Verletzte im Schockzustand. Victor bestritt das und deshalb musste ich selber in meinem medizinischen Lexikon nachsehen, mit meinem kaputten Finger, und ich konnte nicht mal was finden. Ich dürfte das alles eigentlich überhaupt nicht tippen. Jemand sollte mich in eine warme Decke wickeln und aufpassen, dass ich nicht einschlafe. Oder dafür sorgen, dass ich einschlafe. Eins von beidem. Oder vielleicht brauche ich einen heißen Grog. Bevor der Hund mich mit dem Hühnchenteil umbringen wollte und ich die Gehirnerschütterung bekam, wusste ich wahrscheinlich, was man in einem solchen Fall macht.
Darauf fällt niemand rein, Barnaby Jones.
PS:
Victor ist mir total was schuldig, denn er wäre automatisch ins Gefängnis gekommen, weil er nur ein Half-Shirt anhatte, und wer so was anhat, wenn die Polizei kommt, der wandert ins Gefängnis. So funktioniert das mit dem Gefängnis.
PPS:
Nur der Klarstellung halber, mit Half-Shirt meine ich ein ärmelloses T-Shirt, nicht so ein Teil, das direkt unter den Brustwarzen endet. Dafür ist Victor wirklichnicht der richtige Typ. Ob man wegen so einem T-Shirt auch ins Gefängnis kommt, weiß ich nicht. Wahrscheinlich nur dann, wenn zu einem bauchfreien T-Shirt noch ein Hund und ziemlich viel menschliches Blut kommen.
PPPS:
Woher weiß man, ob man erweiterte Pupillen hat? Wie sehen Pupillen denn normal aus? Warum findet man das im Internet so schwer heraus? Warum muss ich immer gleich noch über Krebs nachlesen, wenn ich Gehirnerschütterung nachschlagen will? Toll. Jetzt habe ich Krebs. Besten Dank auch, Barnaby Jones.
Update:
War heute Morgen in der Notaufnahme und habe alles erklärt. Die schrieben auf meine Krankenblatt: »Von Hühnchen gestochen.« Dann fragten sie mich, ob ich eine veränderte Wahrnehmung hätte, und ich sofort: »Sie meinen … ob ich Ihre Gedanken lesen kann?«
Daraufhin bekam ich ein Einzelzimmer. Man kann daraus vermutlich lernen, dass man eine geistige Krankheit vortäuschen sollte, um schneller behandelt zu werden. Dann stellte sich allerdings heraus, dass ich mir nur die Hand verstaucht hatte. Ich musste eine Schiene tragen,
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