Das ist nicht wahr, oder?
meinte ich, er würde
unter
reagieren, wahrscheinlich weil er nicht wüsste, wie Latein geht. Da behauptete er, »unterreagieren« wäre auch kein Wort. Der Mann hat vom Umgang mit Kranken wirklich keine Ahnung.
Er räusperte sich irgendwie skeptisch und da hielt ich ihm meinen riesigen ET-Finger hin und rief: »Das sieht für Sie nicht nach Krebs aus?!« Er versicherte mir, es handle sich nicht um Krebs, sondern um den Biss einer Spinne. Einer heimtückisch, gefährlichen Spinne, die mit ihrem giftigen Biss die Eier ihrer Jungen überträgt, auf dass sie im Fleisch des Fingers einer arglosen jungen Schriftstellerin wachsen und gedeihen, die wahrscheinlich demnächst auch noch einen lästigen Prozess wegen eines ärztlichen Kunstfehlers am Hals hat. Der Arzt sagte das nicht laut, aber ich konnte es an seinen Augen ablesen.
Als Victor zu Hause fragte, was der Arzt gemeint hätte, erklärte ich, er hätte mich zum Sterben nach Hause geschickt.
»Er hat was?«
»Ich meine, er hat mich mit einer Salbe nach Hause geschickt.« Was irgendwie keine gute Steigerung war.
Wie sich allerdings herausstellte, lag Dr. Roland völlig falsch, und nach vielen Blutbildern (und einem neuen Arzt)stand schließlich fest, dass ich weder Fingerkrebs noch Fingerspinnen hatte, sondern Arthritis.
Wenn ich anderen sage, ich hätte Arthritis, bekomme ich meist zu hören: »Aber du bist doch noch so jung«, ein ziemlich zweischneidiges Kompliment, das ich nie leiden konnte. Wahrscheinlich kann ich es noch weniger leiden, wenn ich erst in dem Alter bin, wo die Leute stattdessen sagen: »Ach Arthritis, natürlich hast du das.« Dann fahre ich sie mit meinem Rollstuhl über den Haufen. Ich erkläre immer, dass es sich um rheumatoide Arthritis handelt (abgekürzt RA), an der sogar Kinder erkranken können, und ich weiß nicht einmal, warum man das überhaupt Arthritis nennt, wo es doch mit der Arthrose, an der die Urgroßmutter leidet, nichts zu tun hat. Ich habe überlegt, ob ich in der Ärzteschaft dafür werben soll, der rheumatoide Arthritis einen spannenderen, jugendlicheren und exotischeren Namen zu geben. Etwas wie »Mitternachtstod« oder »Pseudovampirismus«. Oder vielleicht den Namen einer berühmten Person, wie »Lou-Gehrig-Syndrom, Teil zwei: Die Abrechnung«. Schließlich ist rheumatoide Arthritis auch ohne die zusätzliche Peinlichkeit eines nach Oma klingenden Namens schon schmerzhaft genug, es ist von daher nur gerecht, wenn wir den Leuten, zu deren Party wir nicht gehen konnten, sagen könnten, wir hätten einen unerwarteten Anfall von Pseudovampirismus gehabt.
Mein neuer RA-Arzt war sehr nett und versicherte mir, eine RA-Diagnose wäre nicht mehr wie früher ein Todesurteil, worauf ich plötzlich ein wenig hyperventilierte, weil der Arzt mir gegenüber gerade von »Todesurteil« gesprochen hatte, und die Praxishilfe musste mir helfen, den Kopf zwischen die Knie zu stecken und tief einzuatmen. Dann sagte er, RA wäre zwar nicht heilbar, aber es gäbe eine Menge experimenteller Behandlungsmethoden, die wir »ausprobieren« könnten. Daraufhinwurde ich ohnmächtig, allerdings wahrscheinlich weniger wegen der Mitteilung, dass ich eine unheilbare Krankheit hätte, sondern mehr weil ich schnell mal ohnmächtig werde, wenn ich jemand in einem Arztkittel sehe. Ich bin auch schon auf Schulausflügen zu Kliniken ohnmächtig geworden, beim Optiker, beim Frauenarzt und einmal sogar beim Tierarzt, und zwar so überraschend, dass ich auf meine Katze gefallen bin. (Das war insofern besonders unangenehm, als ich im Wartezimmer wieder zu mir kam und sich dort eine Menge Hunde und fremde Menschen über mich beugten, während die Sanitäter mein Herz abhörten, wozu sie mir die Bluse ganz aufgeknöpft hatten. Meine Katze kauerte unter einem Stuhl und starrte mich vorwurfsvoll an.) Als ich in der Arztpraxis zu mir kam, durfte ich mich hinlegen, während der Arzt mir erklärte, es gebe keinen Grund zur Panik, man wisse zwar nicht, was die Krankheit verursachte, sie wäre aber vermutlich kongenital. Ich hatte nur mit halbem Ohr zugehört, so beschäftigt war ich damit, mich nicht zu übergeben, aber jetzt sah ich ihn mit großen Augen an und fragte: »Entschuldigung,
genital?«
»Äh … wie bitte?«, fragte der Arzt.
»Sagten Sie, meine Arthritis wäre genital?«
»Nein.« Er grinste.
»Kon
genital, angeboren. Oder vielleicht auch erblich.« Ich seufzte erleichtert, denn seine Antwort bot wenigstens einen gewissen Trost, und überlegte
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