Das italienische Maedchen
»Dann ist etwas schiefgelaufen. Was, weiß ich nicht so genau, aber sie hat sich verändert. Wenn du deine Mamma glücklich machen möchtest, musst du die Chance nutzen, die sie dir verschaffen wollte.«
»Findest du meine Stimme wirklich gut, Rosanna?«
»O ja, und Roberto auch.«
»Und dir macht es wirklich nichts aus, mich bei euch zu haben?«
»Nein.« Rosanna küsste ihre Nichte sanft auf die Stirn. »Was hältst du davon, wenn ich uns beiden jetzt einen Tee aufbrühe?«
Später am Abend, als Ella sich so weit beruhigt hatte, dass sie schlafen konnte, ging Rosanna nach unten. Roberto schaute gerade im Wohnzimmer einen Film an, einen Teller mit einem halb gegessenen Sandwich auf dem Schoß.
»Wie geht’s ihr?«, erkundigte er sich, ohne den Blick zu heben.
»Sie hat sich beruhigt. Die Arme.« Rosanna sank aufs Sofa. »Ich weiß nur zu gut, wie es ist, in jungen Jahren die Mutter zu verlieren.«
»Deine Schwester kann froh sein, dass du dich um Ella kümmerst.«
»Das ist das Mindeste. Ich bin ihre Familie.«
»Das klingt sehr italienisch«, bemerkte Roberto und sah sie kurz an.
»Nein, sehr menschlich. Vergiss nicht, dass ich heute ebenfalls jemanden verloren habe, der mir sehr wichtig war.«
Roberto biss von seinem Sandwich ab. »Ich habe mir ein Sandwich gemacht, weil es kein Abendessen gegeben hat.«
»Roberto, was ist los mit dir? Warum denkst du immer nur an dich?«
»Ich muss in zwei Wochen nach Wien zu einem Konzert und wollte, dass du mich mit Nico begleitest. Jetzt wird das wohl nichts.«
Rosanna sah ihn ungläubig an. »Wie konntest du auf die Idee kommen, dass ich Ella in einer solchen Situation allein lassen würde?«
Roberto kaute weiter.
»Wie lange wirst du weg sein?«, fragte Rosanna äußerlich ruhig, obwohl es in ihrem Innern brodelte.
Er zuckte mit den Achseln. »Drei Wochen, schätze ich, vielleicht auch länger. Ich muss Chris morgen anrufen und mir den genauen Plan geben lassen. Vielleicht kannst du ja später nach Wien kommen.«
»Das bezweifle ich«, antwortete Rosanna kühl und stand auf. »Ich gehe jetzt ins Bett. Gute Nacht, Roberto.«
Später weckte Roberto Rosanna, indem er zärtlich an ihrem Nacken knabberte. » Cara , cara , tut mir leid, dass ich so unsensibel war. Du trauerst um deine Schwester, und ich benehme mich wie der Elefant im Porzellanladen.«
»Ja, Roberto, das stimmt«, pflichtete sie ihm bei.
»Ich kann den Gedanken nicht ertragen, schon so bald wieder von dir getrennt zu sein. Bitte vergib mir. Bitte?«
Trotz ihrer Verärgerung drehte Rosanna sich zu ihm um und ließ sich von ihm küssen.
»Bitte versuch hin und wieder, auch an andere zu denken, Roberto.«
»Das werde ich. Ti amo , Rosanna.«
Wie üblich verrauchte ihr Zorn, als er sie zu liebkosen begann.
»Stephen?«
»Ja?«
»Ich bin’s, Luca. Wie geht’s?«
»Ganz okay.« Stephen schwieg kurz. »Und wie geht’s Ihrer Schwester?«
Schweigen, dann: »Hat Rosanna Ihnen nicht erzählt, dass sie vor zwei Wochen gestorben ist?«
»Nein. Ich … Ich war in letzter Zeit sehr beschäftigt und habe sie nicht gesehen. Herzliches Beileid, Luca.«
»Es war das Beste so. Am Ende hatte sie schreckliche Schmerzen. Nun, da Carlotta es hinter sich hat, muss ich mich auf mein eigenes Leben konzentrieren und einige wichtige Entscheidungen treffen. Stephen, Sie waren doch inzwischen in New York, oder? Wissen Sie jetzt Genaueres über die Zeichnung?«
»Ja. Ich hatte schon auf Ihren Anruf gewartet. Wir müssen reden, Luca, aber nicht am Telefon. Kommen Sie bald wieder nach England?«
»Ja, ich möchte Ella sehen, doch zuvor muss ich in Neapel noch ein paar Dinge für Carlotta regeln.«
»Rufen Sie mich an, wenn Sie wissen, wann Sie hier sind.«
»Wir sehen uns bei Rosanna, oder?«
»Leider hat sich seit unserem letzten Gespräch manches verändert«, antwortete Stephen. »Deshalb lautet die Antwort auf Ihre Frage Nein. Aber das soll Ihnen alles Rosanna erzählen. Auf Wiedersehen, Luca.«
Donatella öffnete die Tür zu Robertos Wohnung, hob die Post auf, die auf dem Boden lag, und legte sie auf den Tisch.
Dann marschierte sie in Robertos Schlafzimmer und riss die Schranktüren auf. Am liebsten hätte sie mit einem Küchenmesser seine gesamte Kleidung zerfetzt. Doch das war kindisch und brachte letztlich nichts. Er hatte viel, viel Schlimmeres verdient.
Sie nahm ihre Kostüme, Röcke und Cocktailkleider heraus und warf sie aufs Bett. Dann leerte sie die Schubladen mit ihren Dessous: die
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