Das italienische Maedchen
Hause«, stellte er fest. »Mein Sohn wird unruhig.«
»Fröhliche Weihnachten Ihnen allen«, rief die Direktorin ihnen nach, als sie zur Tür gingen.
Am folgenden Tag verkündete Roberto, dass er mit Rosanna nach Cheltenham fahren und Weihnachtseinkäufe erledigen wolle.
»Würdest du für uns auf Nico aufpassen, Ella? Wir möchten Geschenke für ihn besorgen«, erklärte Rosanna ihrer Nichte.
»Gern.«
»Es wird nicht mehr als ein paar Stunden dauern«, fügte sie hinzu, weil ihre Nichte sich nicht ausgeschlossen fühlen oder glauben sollte, als unbezahlter Babysitter ausgenutzt zu werden.
»Keine Sorge. Ich passe gern auf Nico auf.« Ella, der die Freude vom Vorabend noch deutlich anzumerken war, lächelte.
Als Roberto und Rosanna weg waren, räumte sie in der Küche die Sachen vom Frühstück weg und summte dabei zu den Weihnachtsliedern im Radio, während Nico auf dem Boden spielte. Bei Robertos unerwarteter Rückkehr in Rosannas Leben hatte Ella das Schlimmste befürchtet – dass sie nicht mehr als Teil der Familie, die sie lieben gelernt hatte, willkommen sein würde. Doch nun war sie so glücklich wie seit Langem nicht mehr. Der große Roberto Rossini hatte ihr Talent bescheinigt, wollte ihr einen Gesangslehrer suchen und hatte ihr vorgeschlagen, sich im folgenden Jahr um einen Platz am Royal College of Music in London zu bewerben. Nicht einmal die Sorge um ihre Mutter konnte ihr im Moment die gute Laune verderben.
Als sie einen Wagen vorfahren hörte, ging sie an die Haustür, um nachzusehen, wer es war. Und als sie Stephen aus seinem Jaguar steigen sah, bekam sie ein flaues Gefühl im Magen.
»Hallo, Ella«, begrüßte er sie lächelnd, öffnete die Beifahrertür und nahm zwei Tüten mit Geschenken heraus. »Wie geht’s?«
»Danke, gut. Wir hatten dich erst am Freitag erwartet«, antwortete sie nervös.
»Die Sache in New York ist schneller über die Bühne gegangen, als ich dachte, also bin ich früher zurückgeflogen.«
Da ertönte aus der Küche ein lauter Knall, und sie rannten hinein. Nico hatte eine Keksdose umgeworfen, der Inhalt sich auf den Boden ergossen. Nun sammelte er die zerbrochenen Kekse einen nach dem anderen auf und stopfte sie sich fröhlich lachend in den Mund.
»Nico scheint’s auch gut zu gehen«, stellte Stephen fest.
Der Junge kreischte vor Begeisterung, als Stephen ihn hochnahm und ihm einen Kuss auf das mit Kekskrümeln verklebte Gesicht drückte. »Na, kleiner Mann? Wo ist denn deine Mamma?«
»Beim Einkaufen, Weihnachtsgeschenke, glaube ich«, antwortete Ella für ihn.
»Dann warten wir einfach, bis sie wieder da ist. Sie wird schon nicht so lange wegbleiben, oder?«, fragte Stephen und setzte sich mit Nico auf dem Schoß an den Tisch. »Ist sie mit dem Taxi unterwegs?«
»Nein. Sie hat sich mitnehmen lassen.«
»Von wem?«
Ella ignorierte seine Frage. »Möchtest du einen Kaffee, Stephen?«
»Sehr gern, danke. Ella, was ist passiert?«
»Nichts.«
»Ich merke doch, dass was nicht stimmt. Als ich am Sonntag angerufen habe, war niemand da. Und heute Morgen habe ich es von Heathrow aus noch mal probiert. Der Hörer wurde nur kurz abgenommen und gleich wieder aufgelegt, als ich etwas gesagt habe.«
»Stephen …«, Ella wandte ihm den Rücken zu, »… besprich das lieber mit Rosanna.«
»Ella, ich kann mir denken, was passiert ist. Rosanna ist in dem Haus in London Roberto begegnet. Er ist zurück, stimmt’s?«
Ella drehte sich mit blassem Gesicht um. »Stephen, ich habe nichts gesagt. Du hast es selber erraten.«
»Ich hab’s geahnt.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe ihr gesagt, sie soll nicht ohne mich nach London fahren.«
Als Ella seine Miene sah, bekam sie Angst, dass er in Tränen ausbrechen würde. »Komm, Nico.« Ella nahm ihm den Jungen ab, setzte ihn zu seinen Spielsachen auf den Boden und stellte Stephen eine Tasse Kaffee hin.
»Tut mir leid, Stephen.« Sie tätschelte hilflos seinen Arm.
»Nein, mir tut es leid.« Er seufzte. »Das ist dir gegenüber nicht fair. Weißt du, ob Roberto bleibt?«
»An Weihnachten? Ja.«
»Verstehe.« Stephen stand auf, ohne den Kaffee anzurühren.
»Ich geh dann mal lieber. An der Tür stehen die Geschenke für Nico, dich und Rosanna.« Er kniete nieder und küsste Nico auf die Stirn. »Tschüs, kleiner Mann. Sei brav.«
»Tschüs.« Nico verabschiedete sich mit einem Lächeln von ihm.
»Was soll ich Rosanna sagen?«
»Nur, dass ich vorbeigeschaut habe. Auf Wiedersehen, Ella. Pass auf dich auf.
Weitere Kostenlose Bücher