Das italienische Maedchen
in die Hand, auf dem in krakeliger Schrift Robertos Name stand. Ohne zu zögern riss sie ihn auf und begann zu lesen.
Nachdem sie den Brief noch zweimal gelesen hatte, fing Donatella zu lachen an. Und lachte, bis ihr der Bauch wehtat.
Schließlich wischte sie sich die Augen ab, stand auf und hob den Blick zum Himmel.
»Danke, Herr, danke.«
46
»Hast du Abi gefragt, principessa ?«
»Ja, Roberto. Sie hat keine Zeit, das Wochenende hier zu verbringen, weil sie ihr Buch überarbeiten muss.«
»Aber ich muss dich sehen. Kannst du Nico nicht zwei Nächte Ella anvertrauen? Er ist doch ganz vernarrt in sie.«
»Nein, Roberto. Mit ihren knapp fünfzehn ist das zu viel Verantwortung. Außerdem möchte ich Ella so kurz nach ihrem schweren Verlust auch nicht allein lassen.«
»Ich bin so einsam hier, cara , in dieser großen Hotelsuite mit dem riesigen Bett. Ich brauche dich bei mir«, jammerte er.
»Bitte hör auf«, sagte Rosanna, den Tränen nahe.
»Du liebst deinen Sohn und deine Nichte mehr als deinen Mann.«
»Roberto, das ist ungerecht. Ich …« Rosanna hörte, wie er auflegte. »Herrgott!«, rief sie aus, knallte den Hörer auf die Gabel und sank auf einen Stuhl am Küchentisch.
»Was ist denn, Rosanna?«, fragte Ella von der Tür aus.
»Ach, nichts«, seufzte Rosanna. »Nur mein unmöglicher Mann. Das muss dich nicht kümmern. Möchtest du einen Tee? Du siehst durchgefroren aus. Wie war’s in der Schule?«
»Gut, und ein Tee wäre prima. Allmählich beginnt er mir zu schmecken! Draußen ist es ziemlich kalt. Wahrscheinlich schneit’s bald.« Ella zog Mantel, Schulmütze und Handschuhe aus. »Roberto möchte, dass du zu ihm nach Wien kommst, stimmt’s?«
»Ja.« Rosanna hängte mit unglücklicher Miene zwei Teebeutel in die Kanne. »Ich dachte, meine Freundin Abi könnte zwei Nächte hier verbringen und auf dich und Nico aufpassen, aber sie ist zu beschäftigt.«
»Rosanna, du weißt, dass ich auf Nico aufpassen kann. Wir schaffen das schon.«
»Nein, Ella.« Sie gab Wasser in die Kanne und rührte um. »Das kann ich nicht von dir verlangen.«
»Zwei Nächte kommen wir schon ohne dich klar.«
»Du bist noch nicht mal fünfzehn …«
»Alt genug, um selbst Mutter zu sein. In Neapel bin ich beim Babysitten oft über Nacht geblieben. Du würdest Roberto doch gern sehen, oder?«
Rosanna goss den Tee in Tassen, gab Milch dazu und setzte sich an den Tisch. »Obwohl mir klar war, dass er eine Weile weg sein würde, hatte ich vergessen, wie schwierig das ist. Ich erlebe wieder den gleichen Albtraum wie früher. Tut mir leid, ich sollte dich nicht mit meinen Problemen belästigen.«
»Du hast dir die meinigen auch oft genug angehört und warst mir Tante und Freundin. Nun hoffe ich, mich revanchieren zu können.«
»Ella, ich bin sehr froh, dich bei mir zu haben. Ohne dich hätte ich den Verstand verloren.«
Ella lächelte. »Freut mich, dass du das so siehst. Du hast mir geholfen, Rosanna, also lass dir jetzt von mir helfen. Ruf Roberto an und sag ihm, dass du dieses Wochenende zu ihm nach Wien fährst.«
»Danke für dein Angebot, Ella. Ich denke darüber nach. Aber jetzt muss ich Nico aufwecken.«
Rosanna stand auf und verließ die Küche. Auf dem Weg nach oben dachte sie über Ellas Vorschlag nach, der verführerisch klang. Wieder sorgte Robertos Abwesenheit dafür, dass ihre Gefühle Achterbahn fuhren. Als Rosanna Nico aus seinem Bettchen nahm, klingelte das Telefon. Nach dem zweiten Mal hörte es auf, was bedeutete, dass Ella rangegangen war.
»Würdest du gern ein kleiner Weltbürger werden und mit mir und deinem Papà herumjetten?«, fragte sie Nico, während sie ihm die Windel wechselte.
Als sie mit Nico nach unten ging, begrüßte Ella sie mit einem Lächeln. »Das war Roberto. Er hat angerufen, um sich zu entschuldigen.«
»Ach, tatsächlich?«
»Und ich habe ihm gesagt, dass du es dir anders überlegt hast und dieses Wochenende zu ihm fliegst. Er hat sich sehr gefreut. Er meint, du sollst ihm verraten, wann genau du in Wien ankommst.«
»Aber Ella, ich …«
»Es ist abgemacht. Du kannst ihn doch jetzt nicht hängen lassen, oder?«
Rosanna lächelte unsicher. »Danke, Ella, vielen Dank.«
Am Samstagmorgen wachte Rosanna um sechs Uhr auf. Sie duschte, zog sich an und ging in die Küche, um Gemüse zu putzen und es mit Hackfleisch, Knoblauch, Kräutern und Tomatenwürfeln zu einer Sauce bolognese zu verarbeiten, damit Ella und Nico am Abend etwas Herzhaftes zu essen hatten.
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