Das italienische Maedchen
brauche mehr Zeit. Die Mimì an der Scala zu singen ist immer schon mein Traum gewesen, und zuvor möchte ich meiner Stimme Gelegenheit geben, sich zu erholen.«
»Na gut, zehn Tage werden wir wahrscheinlich herausschinden können.« Chris hob kaum den Kopf von seinem Kalender. »Dann fliegen Sie nach Wien und singen im März zwei Wochen die Butterfly , wofür Paolo mir das Okay gegeben hat, bevor es nach Mailand zurückgeht. Dort geben Sie im Rigoletto die Gilda, und Roberto singt den Herzog. Anschließend haben Sie in New York zwei Monate für die Vorbereitung auf Ihr Debüt an der Met in Roméo et Juliette .«
Der Kellner brachte ihr Essen.
»Das sieht köstlich aus. Lassen Sie es sich schmecken, Rosanna«, sagte Chris und griff nach Messer und Gabel.
Rosanna war der Appetit vergangen.
Chris sah auf seine Uhr. »Wir haben noch fünfzehn Minuten für den Kaffee. In einer Dreiviertelstunde geben Sie dem Figaro ein Interview. Noch Fragen?«
»Mir wird allein schon vom Zuhören schwindlig, Chris.«
»Tut mir leid, Rosanna. Paolo hat mich gebeten, Sie nicht zu sehr zu fordern, und das versuche ich. Ich verspreche, Ihnen Luft zum Atmen zu lassen, aber man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist, meine Liebe.«
»Es geht alles so schnell.« Rosanna kaute, den Tränen nahe, auf ihrer Lippe.
Als Chris ihr Gesicht sah, drückte er ihre Hand. »Ich kann Sie verstehen. Wenn Sie irgendwann das Gefühl haben sollten, dass es Ihnen zu viel wird, müssen Sie es mir nur sagen. Ich stärke Ihnen den Rücken.«
»Dann lassen Sie mir bitte mehr Zeit für die Proben zu La Bohème .«
»Das bedeutet, dass wir die Palais Garnier streichen müssen …« Er ging die Liste der Termine durch. »Wenn Ihnen das so wichtig ist.«
»Ja.«
»Okay«, seufzte er. »In Ordnung.«
Nach dem Interview mit dem Journalisten vom Figaro im Foyer der Scala stieg Rosanna die Treppe zu Paolos Büro hinauf. Ihr schwirrte der Kopf. Die Pläne von Chris klangen aufregend, aber mutete sie sich nicht zu viel zu? Sie musste Paolo fragen, ihn um seine Meinung bitten.
Rosanna klopfte an seiner Tür.
»Kommen Sie rein, Rosanna. Wie geht es Ihnen? Sie sehen ein bisschen blass aus.«
Sie setzte sich. »So fühle ich mich auch. Ich war gerade mit Chris beim Mittagessen und komme mir vor, als wäre ich unter eine Dampfwalze geraten! Er hat mir einen detaillierten Plan für die nächsten achtzehn Monate vorgelegt und ist ihn so schnell durchgegangen, dass ich ihm gar nicht folgen konnte.«
»Chris ist ein Energiebündel«, stellte Paolo fest. »Wahrscheinlich muss man das als Agent sein, wenn man Erfolg haben will.«
»Ich habe nur Angst, dass ich das Laufen versuche, bevor ich richtig gehen kann. Ich muss noch so viel lernen, Paolo.«
»Dann sagen Sie Chris, wie Ihnen zumute ist.«
»Das habe ich bereits.«
»Gut. Vergessen Sie nicht, er arbeitet für Sie, nicht umgekehrt. Er ist anständig, Rosanna, anständiger als manche seiner Kollegen. Die würden Sie, wenn das Geld stimmt, für ein Konzert um die halbe Welt jagen.«
»Ich weiß, und mir ist auch klar, wie glücklich ich mich schätzen kann, dass alle mich wollen. Doch ich habe Chris erklärt, dass die Scala für mich oberste Priorität besitzt. Die anderen Opernhäuser sind natürlich wichtig, aber mein Herz schlägt für die Scala.« Rosanna blickte zum Fenster hinaus. »Ich hatte nicht geahnt, dass es so sein würde.«
»Sie stehen noch ganz am Anfang, da ist alles ein bisschen seltsam. Bestimmt gewöhnen Sie sich schnell daran«, tröstete Paolo sie mit einer Überzeugung, die er selbst nicht empfand. »Was halten Sie von einem Auftritt in London mit Roberto?«
»Ich finde, unsere Stimmen harmonieren sehr gut«, antwortete Rosanna zurückhaltend.
»Stimmt. Sie sind das neue Traumpaar.« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Ich weiß, dass mich das nichts angeht, aber Roberto kann ziemlich charmant sein, und …«
Rosanna fiel ihm ins Wort. »Mir ist klar, worauf Sie hinauswollen. Ich kann auf mich aufpassen.«
»Freut mich zu hören.«
Paolo begleitete sie ins Foyer, wo er sie auf beide Wangen küsste. »Wenn Sie einen Rat oder einfach nur jemanden zum Reden brauchen, können Sie jederzeit zu mir kommen. Ich bin stolz auf Sie, Rosanna. Ciao .«
» Ciao , Paolo. Danke.«
Er ging zurück in sein Büro, nahm den Telefonhörer in die Hand und wählte Robertos Nummer. Ohne Erfolg. Frustriert legte er auf und versuchte, sich auf Papierkram zu konzentrieren.
19
Das Telefon
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