Das Jahr auf dem Lande
genaugenommen auch nicht überschritten. Sie schleichen sich auf die Hinterveranda und weigern sich, ins Haus zu kommen. Christine versorgt sie mit Suppe, Kuchen und Kakao. Zum Dank murmeln sie immer nur was Unverständliches in den Bart, aber Christine freut sich jedesmal, wenn sie kommen.«
Der Winter lastete schwer auf »Gipfelkreuz« und seinen Bewohnern. Die Straße war unbefahrbar. Man konnte sie nur zu Fuß oder zu Pferd benutzen — und ganz selten einmal Kusine Jane einsetzen, wenn man ihr Ketten angelegt hatte. Nicht einmal Mark und Luke wagten sich zur Zeit aus dem Haus. Sie waren schon seit vierzehn Tagen nicht mehr auf »Gipfelkreuz« gewesen. »Ich werde mal mein Pferd satteln und nachschauen, ob sie noch leben«, sagte Robert eines Tages.
Diese Worte, leicht dahingesprochen, waren durchaus ernst zu nehmen. Die beiden alten Männer lebten zwar noch, aber es ging ihnen sehr schlecht. Als Robert vom Gatter aus nach ihnen rief, bekam er keine Antwort, und so stieg er vom Pferd, ging zur Tür und blickte hinein. Der Hauptraum war voller Hunde, Katzen und Hühner, aber keine Menschenseele war zu sehen. Robert zögerte, dann rief er noch einmal nach den beiden Männern. Er wollte nicht unaufgefordert in die Hütte eindringen, aber er machte sich Sorgen um Luke und Mark.
Da drang ein schwaches Krächzen aus dem Nebenraum, und Robert wagte sich weiter vor und rief durch die offene Verbindungstür: »Alles in Ordnung mit euch beiden?« Ein Stöhnen antwortete ihm. Er ging ins Schlafzimmer, und da sah er die beiden mitleiderregenden Gestalten halb angezogen auf ihren Betten liegen.
»Krank — sehr krank«, würgte Mark hervor, dann sank sein Kopf wieder auf das Kissen zurück, und er schien das Bewußtsein zu verlieren.
Ihre Gesichter waren gerötet, und Robert war überzeugt, daß sie Fieber hatten. Was sollte er tun? Er fühlte sich völlig hilflos. Wie sollte er den beiden helfen? Was konnte man schon tun in dieser unglaublich schmutzigen Hütte?
Immerhin brachte er es fertig, Tee zu machen, und die Dankbarkeit der beiden alten Männer war rührend, als sie mit zitternden Fingern die Tassen umklammerten. Aber sie lehnten es ab, etwas zu essen; Robert hätte allerdings ohnehin nicht gewußt, wie er in dem unvorstellbaren Schmutz etwas Eßbares auftreiben sollte, und er verabschiedete sich mit dem Versprechen, einen Arzt zu holen.
Adrian rief den Doktor an und erfuhr, daß der ganze Distrikt von einer schweren Grippeepidemie heimgesucht wurde. Der Arzt versprach, noch am gleichen Abend nach den beiden Patienten zu sehen, und sagte, sie sollten in der Zwischenzeit möglichst viel trinken. »Ich habe gehört, daß sie in einer schrecklich schmutzigen Hütte hausen. Sie brauchen vor allem Antibiotika. Ich werde welche mitbringen oder die Bezirksschwester damit hinschicken. Ich habe Tag und Nacht zu tun, weil die halbe Stadt Grippe hat. Passen Sie auf, daß Sie den Bazillus nicht auch einfangen!«
Nun kam Adrians schönster Augenblick. »Das ist ein Notfall«, sagte er zu seiner Familie. »Der Arzt hätte mich nicht zu warnen brauchen. Der Bazillus wird mich verschonen. Ich hatte noch nie Grippe und werde sie auch nie bekommen. Jedenfalls werde ich die Verantwortung für Mark und Luke übernehmen. Keiner von euch darf den beiden in die Nähe kommen. Ich werde in ihrer Hütte auf den Doktor warten. Mach eine heiße Brühe fertig, Christine, die nehme ich mit, und dann werde ich sehen, was ich sonst noch für die beiden tun kann. Ich glaube, sie haben die Grippe eingefangen, als sie letzte Woche in der Stadt waren, um ihre Pension abzuholen.«
Er strotzte vor Energie und war, wie Christine es schon mehrmals in ähnlichen Situationen erlebt hatte, sachlich und kompetent. Der Mann, der das ganze Haus auf den Kopf stellen konnte, wenn er seinen Kugelschreiber nicht fand, half nun seiner Familie über die verschiedenartigsten Komplikationen hinweg. Aus irgendeinem Grund war er immun gegen Bazillen, das wußte Christine und beneidete ihn darum.
Adrian nahm den Topf mit der heißen Brühe und machte sich auf den Weg. Wie er es schaffte, sollte seine Familie niemals erfahren, aber jedenfalls flößte er den beiden Patienten die Brühe ein, wartete auf den Doktor, ließ sich die Medikamente geben und sorgte dafür, daß Mark und Luke sie pünktlich einnahmen. Als er Malcolm Trent anrief, sagte der Farmer: »Ja, ich weiß Bescheid. Wir haben auch die Grippe. Beth war die erste, aber es hat sie nur leicht
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