Das Jahr auf dem Lande
müssen ja ganze Geschlechter kommen und gehen, bis diese Grube voll wird.« Aber Mrs. Trent erklärte ihr, es sei eines der absoluten Gesetze, die ihr Mann aufgestellt hatte, Müll stets möglichst tief zu vergraben und ihn nicht in ekelerregenden Haufen liegen und verfaulen zu lassen.
Lester besserte auch die Dachrinne aus, und es war Mrs. Trent und nicht Jo, die ihm dabei die Leiter hielt. Jo entschuldigte sich und erklärte, sie sei unbrauchbar, wenn es um Leitern gehe, denn die würden ihr eine Heidenangst einjagen. »Ich bin nämlich einmal von einer Leiter gefallen, als ich zehn war.«
Lester hatte sie noch nie zuvor so anziehend gefunden. Er mochte ihren praktischen Verstand, ihre Bereitschaft, auch anstrengende Arbeit zu tun, ihre Entschlossenheit, ein gemütliches Heim für Beth zu schaffen. Er mochte auch ihre Natürlichkeit, ihren nie versiegenden Sinn für Humor.
Dieser Sinn für Humor half ihr auch, den Besuch bei den Holdens zu überstehen. Offiziell kam sie, um Beths Sachen zu holen, in Wirklichkeit jedoch, um zu erklären, daß ihre Eltern und ihr Bruder nichts von der heimlichen Hochzeit gewußt hatten. Die Begegnung verlief etwas enttäuschend, ohne die Dramatik, die Jo erwartet und auf die Sie sich gefreut hatte. Natürlich wurde sie nicht herzlich willkommen geheißen, aber man brachte ihr auch nicht die offene Feindseligkeit entgegen, mit der sie gerechnet hatte. James Holden trat überhaupt nicht in Erscheinung, seine Frau legte kühle Höflichkeit an den Tag, verschwand dann, um Beths Koffer zu holen, und ließ Jo mit der alten Dame allein. Victoria Holden sagte mit entwaffnender Offenheit: »Ich weiß es zu schätzen, daß Sie den Mut haben hierherzukommen, Mädchen. Sie müssen doch wissen, was wir von Ihnen halten.«
»Ich weiß, aber ich wollte Ihnen sagen, daß meine Eltern nichts damit zu tun haben.«
»Das haben wir uns gedacht. Sie sind auf eigene Faust vorgegangen, haben sich eingemischt in Dinge, die Sie nichts angehen, haben Beth dazu verleitet, ihre Familie zu hintergehen und dieses unnötige Täuschungsmanöver durchzuführen.«
»Unnötig? Wo sie doch nach Christchurch geschickt werden sollte...«
»Unsinn! Sie hätte sich doch nur dagegen zu wehren brauchen. Man kann ein Mädchen von fast zwanzig nicht gegen seinen Willen irgendwohin schicken.«
»Aber sie hatte nicht genug Rückgrat, sich dagegen aufzulehnen. Sie ist doch immer herumkommandiert worden.«
»Weil sie einen dazu herausgefordert hat. Sie ist ein reizendes Kind, aber sie hat soviel Mut wie eine kleine Maus.«
»Aber sie war immerhin entschlossen, Craig zu heiraten, unter allen Umständen. Wozu dann das ganze Theater? Es war einfach zu dumm.«
»Da bin ich ganz Ihrer Meinung — vor allem diese heimliche Hochzeit. Es überrascht mich, daß Lester sich dazu hergegeben hat. Sie scheinen eine bemerkenswerte Überredungskunst zu besitzen, Mädchen.«
»Ich habe ihn nicht dazu überredet. Ich war selbst ganz erstaunt, als er am Hochzeitsmorgen bei uns auftauchte.«
»Er hat es leichter für Beth gemacht und schwerer für sich selbst. Typisch. Er ist schon immer seinen eigenen Weg gegangen. Nun ja, was geschehen ist, ist geschehen, und ich werde warten müssen, bis sich die Familie dazu herabläßt, mit mir die junge Ehefrau aufzusuchen.«
»Kommen Sie doch mit mir. Ich kann Sie in Kusine Jane mitnehmen.«
Darüber lachten sie beide, als Cynthia mit der Mitteilung zurückkehrte, ihr Mann habe Beths Sachen in Jos Auto gepackt. Ihre Stimme zitterte ein wenig, als sie das berichtete, und das gab Jo den Mut zu sagen: »Mrs. Holden, ich bin nicht nur gekommen, um Beths Habseligkeiten abzuholen. Ich wollte Ihnen versichern, daß meine Eltern und Robert nichts von der heimlichen Hochzeit wußten. Das war ganz allein mein Werk.« Als sie den Kummer in den Augen der blassen Frau las, fügte sie hastig hinzu: »Sie war sehr unglücklich und sagte immer wieder: >Wenn Mutter doch hier wäre...<«
Danach verabschiedete sie sich rasch von der alten Mrs. Holden und ging mit der jüngeren Frau hinaus zum Auto, in dem Sheikh saß und noch leise knurrte, nachdem ein nervöser Mr. Holden die Koffer gebracht hatte und gleich wieder davongerannt war. »O Gott«, sagte Jo. »Sheikh hatte ich ganz vergessen. Hoffentlich hat sich Mr. Holden nicht zu sehr aufgeregt. Der Hund kann es nämlich nicht leiden, wenn Fremde zum Wagen kommen.« Dann setzte sie sich zwischen Koffern und Reisetaschen ans Steuer und wandte sich noch einmal an
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