Das Jahr auf dem Lande
Baby. Ich kann sehr gut allein trinken.« Sie nahm einen großen Schluck und erstickte beinahe daran. »Großer Gott, das ist ja purer Brandy. Warum hast du kein Wasser hineingetan, du Schafskopf?«
Er lächelte erleichtert. »Du erholst dich erstaunlich schnell. Trink das endlich und sag nicht Schafskopf zu mir! Das Wort, das du vorhin benutzt hast, gefällt mir viel besser.«
»Was für ein Wort?« fragte sie verwirrt.
»Liebling. Ein schönes Wort — für uns beide.«
»Woher willst du denn wissen, daß das Wort für dich bestimmt war? Wahrscheinlich habe ich gerade an Sheikh gedacht. Der arme Kerl! Er hat solche Angst vor Erdbeben. Ich möchte nur wissen, wo er steckt.«
»Dieser verdammte Köter!« sagte der so schnöde zurückgewiesene Lester. »Er ist ins Haus geflohen, als das Erdbeben losging, und jetzt, wo es aufgehört hat, kriecht er vermutlich unter dem Küchentisch hervor. Und du hast gar nicht Sheikh gemeint, als du >Liebling< sagtest.«
Sie schwieg eine Minute lang, trank gemächlich ihren Brandy und betastete immer wieder voller Selbstmitleid ihren Kopf. Dann sah sie ihm in die Augen und gestand.
»Nein, ich habe nicht Sheikh gemeint. Warum bin ich so dumm und versuche kokett zu sein? Ich habe das Wort >Liebling< schon so lange gedacht — und in jenem Augenblick ist es mir eben herausgeschlüpft.«
»Ich bin dir mit gutem Beispiel vorangegangen, und ich denke dieses Wort auch schon seit einer Ewigkeit. Jo, ich finde dich anbetungswürdig.«
»Das bin ich auch.« Sie lächelte spitzbübisch. »Aber ich bin auch eigensinnig und herrschsüchtig und überhaupt ein harter Brocken. Ich setze gern meinen Willen durch und kann Leute, die mich herumkommandieren oder mir Ratschläge geben wollen, nicht leiden.«
»Hat das schon einmal jemand versucht?«
»Wir sollten nicht den dummen Fehler machen, einander über unsere Vergangenheit auszufragen. Aber — nun ja – ein oder zwei Leute haben es versucht. Und das war meist der ausschlaggebende Trennungsgrund. Meine Eltern haben es nie versucht. Sie taten ihr Bestes für uns, als wir noch klein waren, und dann ließen sie uns in Ruhe. Eine gute Erziehungsmethode.«
»In gewissen Grenzen — ja. Für manche jungen Leute heutzutage mag das ja richtig und gut sein, aber ich finde es ein bißchen zu fortschrittlich.«
»Ich nicht. Wenn ich in diesem Käfig leben müßte, ich würde zugrunde gehen.«
»Ein oder zwei Jahre lang wirst du es ertragen müssen, Liebling, denn so lange wird es dauern, bis die Farm wieder okay ist.«
Sie richtete sich auf und schüttelte den Arm ab, den er um ihre Schultern gelegt hatte. »Was muß ich ertragen?«
»Rangimarie und seine Snobs. Aber sie werden sich nicht in dein Leben einmischen, und es ist ja nicht für immer.«
»Ich habe nicht gesagt, daß ich dich heiraten werde.«
»Du hast gesagt, du hättest das Wort >Liebling!< gedacht, und das bedeutet, daß du mich liebst — so wie ich dich liebe.«
»Was für ein viktorianischer Unsinn! Heutzutage nennt doch jeder jeden Liebling.«
»Ich weiß, und ich finde das sehr dumm. Aber du hast es ernst gemeint, als du in halb bewußtlosem Zustand >Liebling< zu mir sagtest.«
»Dann muß ich im Delirium gewesen sein. Ein für allemal, Lester. Ich kann und ich werde nicht in Rangimarie leben. Hier würde ich ersticken. Ich hasse diesen Snobismus, diese Rückständigkeit. Wenn du unbedingt hierbleiben mußt, dann tu’s — aber laß mich bitte aus dem Spiel.«
»Das kann ich nicht — und ich werde es auch nicht tun.«
»Dann sag deinem Vater, er soll die Farm so verkaufen, wie sie ist. Was spielt es denn für eine Rolle, ob sie rentabel ist oder nicht? Was für eine Rolle spielen ein paar zerbrochene Zäune oder windschiefe Gatter? Irgend jemand wird die Farm schon kaufen, und wenn dein Vater ein paar Tausender weniger dafür bekommt, wird er’s überleben. Du hast mir ja einmal erzählt, daß er von seinen Kapitalanlagen ein recht luxuriöses Dasein fristen kann.«
»Wieviel Geld mein Vater hat oder nicht hat, steht hier nicht zur Debatte. Es kommt nur darauf an, daß er mir die Farm anvertraut hat, als er von hier wegging. Und ich habe ihm versprochen, daß ich hier alles in Ordnung bringe, bevor ich versuche, die Farm zu verkaufen. Ich habe ihm mein Wort gegeben, und er ist beruhigt und zufrieden in die Stadt gezogen. Er ist krank, und jede Aufregung könnte ihm schaden. Außerdem würde ich niemals ein Versprechen brechen.«
»Dann vergiß mich. Ich gehe
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