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Das Jahr der Flut

Das Jahr der Flut

Titel: Das Jahr der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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gelaunt.
    »Ich geb dir einen Kaffee aus«, sagte ich. Ich muss wohl sehr nervös gewesen sein, denn was sollte Bernice mit einem Kaffee aus einem Laden, den sie boykottierte?
    Anscheinend dachte sie, ich wollte mich über sie lustig machen, denn sie sagte: »Verpiss dich.«
    »Entschuldigung«, sagte ich. »So war das nicht gemeint. Wie wär’s mit einem Wasser? Wir könnten uns da drüben hinsetzen, unter die Statue.« Die Statue von Martha Graham war eine Art Maskottchen: Martha Graham war als Judith dargestellt, die den Kopf ihres Feindes Holofernes in die Höhe hält, und die Studenten hatten den Halsstumpf mit roter Farbe bemalt und Stahlwolle in Marthas Achselhöhle geklebt. Direkt unter dem Holoferneskopf war eine Fläche, wo man sitzen konnte.
    Wieder sah sie mich wütend an. »Du bist total abtrünnig geworden«, sagte sie. »Abgefülltes Mineralwasser ist böse. Hast du von gar nichts ’ne Ahnung?«
    Ich hätte Schlampe zu ihr sagen und einfach weitergehen können. Aber das hier war wahrscheinlich meine einzige Gelegenheit, die Sache wieder zu bereinigen, zumindest für mich selbst. »Bernice«, sagte ich. »Ich wollte mich bei dir entschuldigen. Jetzt sag mir einfach, was du trinken kannst, und ich hol’s dir, und dann setzen wir uns damit irgendwo hin.«
    Sie grollte mir immer noch − niemand konnte einem grollen wie sie −, aber nachdem ich sagte, dass wir die Sache in Licht tauchen müssten, sagte sie, es gäbe da im Campus-Supermarkt so einen Bio-Trunk im Recyclingkarton aus gepressten Kudzu-Blättern, und sie müsste ohnehin noch ein bisschen boykottieren, aber wenn ich damit zurück wäre, könnte sie eine Pause einlegen.
    Mit unseren beiden Flüssigmulchkartons saßen wir unter dem Kopf von Holofernes, und der Geschmack erinnerte mich wieder an meine frühen Gärtnertage − wie unglücklich ich anfangs war und wie Bernice mich in Schutz genommen hatte. »Seid ihr nicht an die Westküste gezogen?«, fragte ich sie. »Nach dem ganzen …«
    »Sind wir«, sagte sie. »Aber ich bin jetzt wieder hier.« Sie erzählte, dass Veena abtrünnig geworden sei und sich einer ganz anderen Religion namens Gebotene Früchte angeschlossen hätte. Die Gebotenen Früchte behaupteten, dass die Reichen von Gott auserwählt waren, denn
An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen
, Frucht im Sinne von Bankkonto. Veena hatte einen HelthWyzer-Vitaminladen aufgemacht und bald darauf fünf weitere, und es ging ihr sehr gut. Bernice sagte, die Westküste sei ideal dafür, denn obwohl alle groß auf Yoga und spirituell machten, waren das alles nur verdorbene materialistische Körperkultbetreiber und Fischfresser, geliftet, bimplantiert, genverändert und mit total kranken Wertvorstellungen.
    Veena wollte, dass Bernice Betriebswirtschaft studiert, aber Bernice war im Herzen immer Gärtnerin geblieben, also hatten sie sich ständig gestritten; und Martha Graham war ein Kompromiss, weil man dort zum Beispiel das Fach Lukrative Heilkunde belegen konnte. Was Bernice auch getan hatte.
    Ich konnte mir Bernice überhaupt nicht als Heilerin vorstellen, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie dazu die geringste Lust gehabt hätte. Dreck in die Wunde reiben war mehr so ihr Ding. Aber ich tat sehr interessiert.
    Ich erzählte ihr von meinem Studium, aber ich merkte schon, dass es sie nicht interessierte. Also erzählte ich ihr von meinem Mitbewohner, Buddy dem Dritten, und sie sagte, Martha Graham sei ein Tummelplatz für solche Leute − Leute aus der Außenhölle, die nichts als Saufen und Sex im Kopf hatten und ihre Zeit auf Erden verschwendeten, ohne jemals einen einzigen ernsthaften Gedanken zu fassen. So einen Mitbewohner hatte sie auch gehabt, der obendrein auch noch ein Tiermörder war, denn er hatte immer Ledersandalen an. Auch wenn sie nur aus Kleder waren. Sie sahen aber aus wie Leder. Sie hatte sie einfach verbrannt. Und Gott sei Dank musste sie sich kein Badezimmer mehr mit ihm teilen, denn fast jede Nacht war er mit irgendwelchen Mädchen zugange gewesen, der Typ war wie ein degenerierter Bonobo/Karnickel-Spleiß.
    »Jimmy«, sagte sie. »Dieser Fleischatem!«
    Als ich den Namen Jimmy hörte, dachte ich erst, es kann nicht derselbe sein, aber dann korrigierte ich mich und dachte, oh doch, kann es. Während ich das überlegte, fragte Bernice, ob ich nicht in Jimmys altes Zimmer einziehen wollte, wo es doch jetzt leer stand.
    Ich hatte mich zwar wieder mit ihr vertragen wollen, aber so sehr dann auch wieder nicht.

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