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Das Jahr der Flut

Das Jahr der Flut

Titel: Das Jahr der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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schon an der Tagesordnung seien.
    Daher hatte Lucerne ihre Position als Topmitarbeiter-Ehefrau verloren und das Haus dazu, und unter den Umständen, die ja weiß Gott unglücklich waren, hatte sie beschlossen, in den KryoGenie-Komplex zu ziehen und bei einem sehr netten Herrn, den sie über den Golfclub kennengelernt hatte und der auf den Namen Todd hörte, den Haushalt zu führen. Sie hoffte sehr, dass ich es wegen Frank nicht gleich wieder übertreiben würde mit dem Kummer, wie immer, wenn Gefühle im Spiel waren.
    KryoGenie. Wenn der Laden kein Beschiss war. Man zahlte eine Stange Geld, um sich nach seinem Tod den Kopf einfrieren zu lassen, falls in der Zukunft eine Methode erfunden wurde, um einem vom Hals abwärts einen neuen Körper zu züchten − wobei sich die Schüler bei HelthWyzer immer darüber lustig gemacht hatten, dass in Wirklichkeit nur leere Köpfe in der Tiefkühlung lagen, weil die Neuronen längst rausgeholt und irgendwelchen Schweinen eingesetzt worden waren. An der HelthWyzer-High wurden viele solcher grausigen Witze gemacht, wobei man nie genau wusste, ob es wirklich Witze waren.
    Kurz und gut − fuhr Lucerne fort −, das Geld war knapp. Todd war kein stellvertretender Direktor, er war nur Leiter der Rechnungsstelle und hatte drei eigene kleine Söhne zu versorgen, und die hatten Priorität, insofern konnte sie Todd schwerlich bitten, zusätzlich zu allem anderen auch noch mich zu finanzieren. Das heißt, ich würde aufhören müssen mit der Rumstudiererei, Martha Graham verlassen und selbst für meinen Lebensunterhalt sorgen.
    Mit einem einzigen schnellen Tritt war ich aus dem Nest geflogen. Nicht dass es je wirklich eins gewesen wäre: Bei Lucerne war ich immer an letzter Stelle gekommen.
    Das nennt man Ironie, dachte ich. Ironie war eines der Themen in meinem Tanztheater-Seminar gewesen. Erst setzt Lucerne eine schändliche faustdicke Lüge über ihre Entführung in die Welt, und jetzt war der arme Frank, mein Biovater, tatsächlich entführt und wahrscheinlich auch noch ermordet worden. Es war klar, dass Lucerne das alles relativ kaltließ. Ich dagegen hatte keine Ahnung, was ich fühlen sollte.
    *
    Vor den Frühlingssemester-Prüfungen bauten die verschiedenen Konzerne in der großen Halle Werbestände auf. Nicht die seriösen Konzerne − die machten sich nicht die Mühe, an der Martha Graham zu werben, die wollten ja die Zahlenmenschen −, eher die leichtgewichtigen. Ich war für diese Vorstellungsgespräche eigentlich nicht qualifiziert, weil ich keine Abschlussstudentin war, aber ich wollte trotzdem hingehen und mein Glück versuchen. Ich würde wohl keinen der angebotenen Jobs bekommen, aber vielleicht konnten sie mich ja als Bodenschrubber gebrauchen.
    Meine Tanzgymnastiklehrerin riet mir, mit den Leuten von Scales and Tails zu sprechen. Ich war immerhin eine passable Tänzerin, und Scales gehörte jetzt zum SeksMart, einem legalen Konzern mit Krankenbeihilfe und Zahnzusatzversicherung, es war also nicht so, als würde man als Prostituierte arbeiten. Viele Mädchen fingen dort an, und schon manch eine hatte über diesen Weg einen netten Mann kennengelernt und durchaus etwas aus ihrem Leben gemacht. Also dachte ich, Probe tanzen kann nicht schaden. Was Besseres würde ich ohne Abschluss wahrscheinlich nicht finden. Selbst ein Abschluss von der Martha Graham war um einiges besser als gar keiner. Und ich wollte auf keinen Fall hinter der Theke von irgendeinem Fleischladen wie GeheimBurger landen.
    *
    Es gelang mir, fünf Bewerbungsgespräche zu organisieren. Mir war ziemlich mulmig, aber ich riss mich zusammen und lächelte und textete die Leute zu, obwohl ich nicht mal auf der Graduiertenliste stand. Es hätten sogar sechs werden können − KryoGenie suchte ein Trostmädchen für die Verwandten, die die Köpfe ihrer Lieben und manchmal auch ihrer toten Haustiere in die Tiefkühlung brachten, aber dort konnte ich ja wegen Lucerne nicht arbeiten. Ich wollte sie niemals wiedersehen, nicht nur wegen dem, was sie mir angetan hatte, sondern auch, wie sie es mir angetan hatte. Mich zu entlassen wie ein Hausmädchen.
    Ich sprach mit den Personalteams von Happicuppa, Chickie-Knollen, ZizzyFroot, Scales and Tails und schließlich mit AnuYu. Die ersten drei wollten mich nicht. Aber Scales and Tails machten mir immerhin ein Angebot. Jeder Konzern hatte ein Personalteam, und Mordis saß im Scales-Team − ein paar wichtige SeksMart-Leute waren auch dabei, aber er war der Mann an der Basis

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