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Das Jahr der Flut

Das Jahr der Flut

Titel: Das Jahr der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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wurden an eine Gourmet-Kette namens Rarity verkauft. Die öffentlichen Speiseräume reichten Steak, Lamm, Wild und Büffel mit Gesundheitszertifikat, damit das Fleisch blutig gebraten werden konnte − darauf bezog sich angeblich der Name »Rarity«. In den privaten Bankettsälen aber − Club-Eingang mit Türcode und Türsteher −, kamen gefährdete Arten auf den Teller. Der Profit war immens; eine einzige Flasche Tigerknochenwein war so viel wert wie ein Diamantcollier.
    Prinzipiell war der Handel mit gefährdeten Arten verboten − und wurde mit hohen Geldstrafen geahndet −, aber er war äußerst lukrativ. Man wusste in der Gegend davon, aber die Leute hatten schließlich ihre eigenen Sorgen, und wem hätte man die Sache schon gefahrlos melden können? Jedes Schlupfloch hatte ein Schlupfloch, und in jedem saß ein CorpSeCorps-Mann und hielt die Hand auf.
    *
    Toby fand einen Job als Pelztreiber: einen schlecht bezahlten Tagesjob, Ausweis nicht erforderlich. Als Pelztreiber musste man in einen Kunstpelzanzug mit Comic-Kopf schlüpfen, sich ein Reklameschild um den Hals hängen und durch die besseren Passagen und Einkaufsstraßen ziehen. Doch in den Pelzanzügen war es heiß und feucht, und das Gesichtsfeld war eingeschränkt. In der ersten Woche musste sie drei Angriffe von Fetischisten abwehren, die sie zu Boden warfen, ihr den großen Kopf umdrehten, bis sie nichts mehr sehen konnte, und sich unter seltsamen Lauten, aus denen am deutlichsten noch ein Miauen herauszuhören war, mit rhythmischen Stoßbewegungen an ihrem Pelz zu schaffen machten. Vergewaltigung wäre zu viel gesagt − Körperkontakt fand dabei nicht statt −, unheimlich war es dennoch. Außerdem war es geschmacklos, sich als Bär, Tiger und Löwe und andere Vertreter gefährdeter Arten zu verkleiden, deren Schlachtung sie ein Stockwerk tiefer mitanhören musste. Also hörte sie auf.
    Dann machte sie einen Haufen schnelles Geld durch den Verkauf ihrer Haare. Der Haarmarkt war damals noch nicht durch die Mo’Hairschafzüchter dezimiert − das kam erst ein paar Jahre später −, es gab also noch Skalpeure, die jedem alles abkauften, ohne lästige Fragen zu stellen. Sie hatte lange Haare, und obwohl sie mittelbraun waren − nicht die beste Farbe, man bevorzugte Blond −, hatten sie ihr eine erkleckliche Summe eingebracht.
    Als das Haargeld aufgebraucht war, verkaufte sie auf dem Schwarzmarkt ihre Eizellen. Mit Eizellenspenden an Paare, die das erforderliche Bestechungsgeld nicht hatten aufbringen können oder wirklich so ungeeignet waren, dass ihnen niemand eine Elternschaftslizenz verkauft hätte, konnten junge Frauen Spitzenverdienste erzielen. Aber die Sache mit den Eizellen konnte sie nur zweimal durchziehen, denn beim zweiten Mal war die Extraktionsnadel infiziert gewesen. Damals kamen Eizellenhändler noch für die Behandlungskosten auf, wenn etwas schiefging; dennoch dauerte es einen ganzen Monat, bis sie wiederhergestellt war. Beim dritten Versuch hieß es, es seien Komplikationen aufgetreten, so dass sie keine Eizellen mehr spenden und ganz nebenbei auch selbst keine Kinder mehr bekommen konnte.
    Von einem Kinderwunsch hatte Toby bis dahin nichts gewusst. An der Martha Graham hatte sie einen Freund, der von Ehe und Familie gesprochen hatte − er hieß Stan −, aber Toby erklärte immer, sie seien dafür viel zu jung und zu arm. Sie studierte ganzheitliche Heilkunde − Essenzen und Schwänzen, wie es im Studentenjargon hieß −, und Stan war für Problemtechnik und kreative Vierfachbuchungs-Vermögensplanung eingeschrieben, und er war gut. Seine Familie war nicht reich, sonst wäre er nicht in einer drittrangigen Einrichtung wie Martha Graham gelandet, aber er war ehrgeizig und wollte unbedingt etwas aus sich machen. An ihren eher ruhigen Abenden rieb Toby ihn mit ihren Blüten-und Kräuterextrakt-Projekten ein, gefolgt von einer Runde knackigem Sex mit botanischem Heilmittelgeschmack, einer Dusche und einer Schüssel Popcorn ohne Salz oder Fett.
    Doch als es mit ihrer Familie abwärtsging, wusste Toby, dass sie sich Stan nicht würde leisten können. Sie wusste auch, dass ihre Tage am College gezählt waren. So hatte sie den Kontakt abgebrochen. Sie antwortete gar nicht erst auf seine vorwurfsvollen SMS, denn die Sache hatte keine Zukunft: Er wollte eine Ehe mit zwei berufstätigen Partnern, und dafür war sie aus dem Rennen. Besser jetzt Tränen vergießen als später, sagte sie sich.
    Aber offenbar hatte sie sich doch Kinder

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