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Das Jahr der Flut

Das Jahr der Flut

Titel: Das Jahr der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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bist ja ganz schön groß geworden«, als wären wir gerade auf einem Klassentreffen. So leicht wirft sie eben nichts aus der Bahn. Sie streckt ihm die Hand entgegen, und Croze schüttelt sie. Es ist so seltsam − Croze in einem Laken im Jesus-Look, wobei sein Bart nicht gerade ein Rauschebart ist, und Toby und ich in unseren rosa Klamotten mit dem zwinkernden Auge und dem Kussmund und Toby mit ihrem Rucksack, aus dem drei lila Mo’Hairbeine ragen.
    »Wo ist Amanda?«, fragt er.
    »Sie ist nicht tot«, sage ich zu hastig. »Ich weiß es einfach.« Er und Toby tauschen über meinen Kopf hinweg einen Blick aus wie zwei Menschen, die es einfach nicht über sich bringen, mir zu sagen, dass mein Hauskaninchen überfahren wurde. »Was ist mit Shackleton?«, frage ich, und Croze sagt: »Dem geht’s gut. Lass uns zum Haus zurückgehen.«
    »Zu welchem Haus?«, fragt Toby, und er sagt: »Dem Lehmhaus. Wo wir früher Naturalienaustausch hatten. Weißt du nicht mehr?«, fragt er mich. »Ist nicht weit von hier.«
    Die Schafe wollen ohnehin in die Richtung: Sie wissen anscheinend, wo’s langgeht. Wir folgen ihnen.
    *
    Inzwischen ist die Sonne so heiß, dass wir in unseren UV-Mänteln fast vergehen. Croze hat sich sein Laken teilweise über den Kopf gezogen; er scheint viel weniger zu schwitzen als ich.
    Es ist Mittagszeit, als wir die alte Baum-des-Lebens-Grünanlage erreichen. Die Plastikschaukeln gibt es nicht mehr, aber das Lehmhaus steht da wie eh und je − sogar die Kritzeleien der Plebsler sind noch an den Wänden −, nur dass angebaut wurde. Es gibt jetzt einen Zaun aus Stangen, Holzplanken, Draht und sehr viel Paketband. Croze öffnet das Tor, die Schafe gehen durch und steuern auf ein Gehege im Garten zu.
    »Ich hab die Schafe«, ruft Croze, und ein Mann mit Spraygewehr kommt aus der Haustür, gefolgt von zwei anderen Männern. Dann vier Frauen − zwei jüngere, eine etwas ältere und eine in Tobys Alter. Sie haben zwar keine Gärtnerkleidung an, aber neu und schön ist was anderes. Zwei der Männer tragen Laken, der dritte abgeschnittene Hosen und Hemd. Die Frauen sind von Kopf bis Fuß bedeckt, genau wie wir in unseren UV-Mänteln.
    Sie starren uns an. Nicht freundlich, eher besorgt. Croze nennt ihnen unsere Namen. »Sicher, dass sie nicht infiziert sind?«, fragt der Mann mit dem Spraygewehr.
    »Hundert Prozent«, sagt Croze. »Sie waren die ganze Zeit in Isolation.« Er blickt uns hilfesuchend an, und Toby nickt. »Das sind Freunde von Zeb«, fügt Croze hinzu. »Toby und Ren.« Dann sagt er zu uns: »Das ist MaddAddam.«
    »Der letzte Rest«, sagt der kleinste der Männer. Er stellt sich und die anderen vor: Er heißt Beluga, das sind Elfenbeinspecht, Manatee und Zunzuncito. Die Frauen heißen Lotis Blue, Swift-Fuchs, Weiße Segge und Tamaraw. Wir geben uns aber nicht die Hand: Sie sind immer noch nervös wegen der Ansteckungsgefahr.
    »MaddAddam«, sagt Toby. »Freut mich, euch kennenzulernen. Einige eurer Projekte habe ich online verfolgt.«
    »Wie bist du zu uns reingekommen?«, fragt Elfenbeinspecht. »In unseren Playroom?« Er beäugt ihr Oldtimergewehr, als wäre es aus Gold.
    »Ich war Atlantisralle«, sagt Toby.
    Sie sehen einander an. »Ach du warst die Ralle«, sagt Lotis Blue. »Die geheime Dame!« Sie lacht. »Zeb wollte uns nie verraten, wer du bist. Wir dachten schon, du wärst irgendeine seiner Liebschaften.« Toby schenkt ihr ein mattes Lächeln.
    »Er sagte aber immer, du seist unbedingt verlässlich«, sagt Tamaraw. »Hat er immer drauf bestanden.«
    »Zeb?«, sagt Toby wie zu sich selbst. Ich weiß, dass sie wissen will, ob er noch lebt, aber sie traut sich nicht zu fragen.
    »MaddAddam war ein ganz großes Ding«, sagt Beluga. »Bis wir erwischt wurden.«
    »Ausgehoben von den verfluchten ReJuvlern, sozusagen«, sagt Weiße Segge, die jüngste Frau. »Crake, dieser kleine Wichser.« Sie hat dunkle Haut und einen britischen Akzent. Sie sind schon viel freundlicher, jetzt, wo sie wissen, dass Toby in Wirklichkeit jemand anders war.
    Ich bin verwirrt. Ich sehe zu Croze hoch, und er sagt: »Das war die Sache mit dem Biowiderstand. Der Grund, warum sie uns ins Painball gesteckt haben. Das hier sind die Wissenschaftler, die dafür angeheuert wurden. Hab ich euch doch erzäht, weißt du nicht mehr? Im Scales.«
    »Ach so«, sage ich. Ich kapier’s aber immer noch nicht. Warum wurden sie von ReJuv angeheuert? War das auch Intelligenzentführung wie bei meinem Vater?
    »Wir hatten Besuch«, sagt

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